Foto: Alfred Jansen

Peter Scheiffele (1971-2015)

Nachruf auf einen Freund

Die Kölner Kulturlandschaft lebt von ihren Veranstaltern, Machern, Kuratoren. Peter Scheiffele war einer von ihnen. Ohne den anderen zu nahe zu treten, aber so einen wie Peter hatte ich noch nie erlebt. Peter war nicht nur einer, der für die Projekte, die er anschob, brannte, er hatte nicht nur diese ansteckende Freude am Gelingen, Verknüpfen, Gemeinsam-auf-die-Beine-Stellen, er definierte auch permanent seine eigene Tätigkeit neu.

Das klingt jetzt ein bisschen abstrakt, man muss sich das so vorstellen: Was für eine verrückte Idee war es doch, im alten Nachtclub King Georg eine Veranstaltungsreihe für marxistische und kritische Theorie zu stemmen! Das ist doch gar kein Ort dafür! Jedenfalls nicht bis zu dem Moment, wo Peter auf diese Idee kam. Er setzte sie einfach um und bürgte für ihren Erfolg mit seiner unglaublichen Präsenz. Und der Erfolg kam. Wo Peter Scheiffele war, da passierte etwas, das war allen klar, die auch nur einmal mit ihm in Berührung kamen. So lief es auch mit der Akademie der Künste der Welt, bei der Peter vor einem Jahr als Projektmanager und Kurator einstieg, sein Tempo war enorm, er wühlte, suchte Räume und Orte, beseitigte Hindernisse. Die immer noch schwelende Debatte, welche Rolle die Akademie für Köln spielen könnte, scherte ihn nicht, er wusste, was er zu tun hatte.

Seine Präsenz lief niemals auf ein Wort hinaus: »Ich«. Peter war nicht angesteckt von der Kuratoren-Krankheit, sich für den wahren Star einer Ausstellung oder Veranstaltung zu halten. Die Kategorie, in der er dachte und die die Maxime seines Handelns war, hieß »Wir«. Er brauchte Austausch, ­Konfrontation, Diskussion, er war jemand, dessen großes Selbst­bewusstsein weder anderen noch ihm selbst im Weg standen. Was für ein Glücksfall! Peter hinterlässt keine Lücke, er hat selber viele Lücken geschaffen, damit dort Platz für Neues, Aufregendes, Befreiendes entstehen kann. Jetzt ist die Ratlosigkeit, wie wir das zukünftig schaffen sollen, unendlich tief.

Hindernisse beseitigen, das ist das Stichwort. Seine Karriere war ihm nicht in die Wiege gelegt, Peter war kräftig und sportlich, der Amerika-Liebhaber träumte davon, Footballer zu werden, mit Anfang zwanzig verschwendete er noch keinen Gedanken an ein Studium. Der zufällig entdeckte Herzfehler machte ihm den dicken Strich durch die Rechnung, er hat sich damit wohl nie wirklich abgefunden. Irgendwann landete er dann an der Uni: Soziologie. Peter wurde Marxist und brauchte, um produktiv denken zu können, den härtesten Stoff: Weber, Foucault, Luhmann, Bourdieu, Castoriadis. Peter las verknorpelte Texte wie andere Cola trinken. Spannend war, was er aus ihnen zog: eine radikale Organisationskritik. Peter hasste den Kapitalismus dafür, dass seine Herrschaftsverhältnisse das freie Machen und Tun permanent hintertreiben und so viele Menschen ihrer Chance berauben, sich in gemeinsamer Assoziation selbst zu verwirklichen. Er machte sich auf die Suche nach dem Untergrundwirken der Ausgegrenzten und Erniedrigten — die es, wenn sie sich vereinigen, gar nicht mehr sind. Er liebte die Wobblys, radikale Arbeiter, Outlaws und Hobos, die vor hundert Jahren das rassistische Regime der USA erschütterten (und die bis heute aus den großen Geschichtsbüchern getilgt sind), er erforschte die Geschichte der Sklavenrevolution auf Haiti, den ungarischen Aufstand von 1956. Er verknüpfte diese Ereignisse, um aus ihnen ein anderes, besseres Verständnis für Weltgeschichte zu gewinnen.

Meine erste Reaktion auf Peters Tod war, dass ich geschrien habe und nicht mehr aufhören wollte. Meine zweite: Kopfschütteln — das kann gar nicht sein, es gibt doch noch so viel zu tun! Peter starb am 29. September. Wir waren für den Abend verabredet, es ging natürlich um Projekte. Aber in Wirklichkeit hätten wir Champions League geguckt. Peter wurde nur 44 Jahre alt.