»Mit unseren Ideen werden nun Geschäfte gemacht«: Ulrich Nieland, unabhängiger Patientenberater | Foto: Manfred Wegener

Mit Risiken und Neben­wirkungen

Eine Agentur, die für Kranken­kassen arbeitet, übernimmt die Unabhängige Patientenberatung

Zehn Jahre wären es gewesen im kommendem Frühjahr. Zehn Jahre, in denen Ulrich Nieland als Berater in der Patientenberatungsstelle des Kölner Gesundheits­ladens am Telefon­hörer saß, Fragen zu Krankengeld und Therapien beantwortete und Menschen mit chronischen Erkrankungen häufig lange Zeit begleitete. »Ich war immer überzeugt davon, dass meine Arbeit einen Sinn hat«, resümiert Nieland. »Doch seit ich weiß, dass aus unseren Ideen und unserem Engagement schon bald Geschäfte gemacht werden, gehe ich morgens anders zur Arbeit.«

 

Mit dem Jahreswechsel endet die gesetzlich festgeschriebene Förderphase der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) und damit auch Nielands Vertrag als Berater. Denn den Zuschlag für die kommenden sieben Jahre hat nicht die bisherige Trägergemeinschaft dreier Sozialverbände erhalten, sondern die private Call-Center-Agentur Sanvartis aus Duisburg. Alle 21 regionalen Beratungsstellen der alten UPD, darunter auch die des Kölner Gesundheitsladens an der Venloer Straße 46, werden dann geschlossen sein.

 

Zur Gewissheit wurde dies mit dem Urteil der Vergabekammer des Bundes vor wenigen Wochen. Bereits im Juli hatte die bisherige Trägergemeinschaft (siehe StadtRevue 8/2015), die Vergabeentscheidung des GKV-Spitzenverbandes, der Interessengemeinschaft der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, gerügt. Die Begründung lautete, dass eine private Call-Center-Agentur, deren größter Auftraggeber Krankenkassen wie AOK und Barmer GEK sind, nicht die gesetzlich verankerte Neutra­lität bei der Patienten­beratung gewährleisten könne. Das Gericht beurteilte dies anders: Sanvartis sei als Auftragnehmer lediglich dazu verpflichtet, eine »organisatorisch eigenständige Einrichtung zu schaffen, deren alleinige Aufgabe es ist, die Verbraucher- und Patientenberatung durchzuführen.«

 

Doch das Verfahren wirft Fragen auf. Denn vor Gericht bescheinigte die Unabhängigkeit und Neutralität der neuen, von Sanvartis betriebenen Einrichtung ausgerechnet jene Anwaltskanzlei, die den GKV-Spitzenverband während des gesamten Ausschreibungsverfahrens begleitete, bei der Vergabe wie vor Gericht. Für Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, eine unhaltbare Entwicklung. Als langjähriges Mitglied des UPD-Beirates gab er aufgrund des Urteils seinen Rücktritt aus dem Gremium bekannt. Er sehe, schreibt Rosenbrock in einem offenen Brief an den Patientenbeauftragten des Bundes, Staatssekretär Karl-Josef Laumann (CDU), »keinen Sinn darin, eine absehbar gegen den Geist der unabhängigen Patientenberatung gerichtete Entwicklung beratend zu begleiten.«

 

Laumann hat sich, indem er zustimmte, Sanvartis den Zuschlag zu geben, als Patientenbeauftragter des Bundes bei vielen unglaubwürdig gemacht. »Mit der Vergabe an die neue Betreiberfirma werden wichtige und über Jahre gewachsene Strukturen in der Patientenberatung einfach abgeschafft«, sagt Regina Behrendt, Gesundheitsexpertin der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen. »Als Stimme, die Interessen und Rechte von Verbrauchern vertritt, können wir damit nicht einverstanden sein.«

 

Doch Laumann ist überzeugt: »Die Patientenberatung in Deutsch­land macht einen Quanten­sprung.« Nicht nur, was den geplanten Ausbau der telefo­nischen Beratungsstrukturen angeht, auch in Sachen Regiona­lität und Bürgernähe gebe es durch Beratungsmobile und Haus­besuche zukünftig eine Reihe von Verbesserungen. Fakt ist jedoch: Personell ist die neue UPD eng mit Sanvartis verknüpft. So war der designierte Geschäfts­führer der neu zu gründenden Einrichtung, Thorben Krumwiede, direkt vorher als Manager bei Sanvartis angestellt.

 

Kritiker wie Rolf Rosenbrock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband bemängeln daher, dass es gerade bei Themen wie dem Krankengeld zu Interessenskonflikten kommen könne: Im Auftrag von Krankenkassen könnte die neue UPD Druck auf Versicherte ausüben, um sie zu einer frühzeitigen Rückkehr in den Job zu drängen. Linus Drop, Geschäftsführer von Sanvartis, weist das zurück: »Ein umfassendes Regelwerk wird sicherstellen, dass die Sanvartis GmbH keinen Zugriff auf die UPD hat«, sagt Drop. »Außerdem ist eine Überwachung durch eine neutrale Kontrollinstanz vorgesehen.«

 

Ob die neue Einrichtung der gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsneutralität gerecht werden kann, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass durch die Vergabeentscheidung des GKV-Spitzenverbandes  über Jahre gewachsenen Strukturen der am Patienten orientierten Beratung wegfallen.