Hörst du die anderen nicht, spielst du zu laut

Das Musiker-Kollektiv Impakt belebt die Kölner Improvisationsszene

In einer Zeit, in der sich niemand traut, in die Zukunft zu schauen, ist die Arbeit an der Gegenwart der modus vivendi. Flexibilität, Regelbruch und Freigeistigkeit, kurz: Improvisationsvermögen gelten als Zugangsberechtigung in die neoliberale Arbeitswelt. Aber nicht nur der Business-Punk soll improvisieren können, auch der moderne Kampfroboter. Der Forschung zur Künstlichen Intelligenz gilt Improvisation als Kasus Knaxus auf dem Weg zum autonomen Han-deln. Jüngst hat ein Forschungs-institut des us-amerikanischen Verteidigungsministeriums eine Software entwickelt, die mit Jazzmusikern improvisieren kann, angeblich. Improvisiertes Handeln erscheint heute als notwendiges Korrektiv und eine Art Low-End-Motor des Kapitals.

 

Im 20. Jahrhundert wurde Improvisation aber zunächst als subversives Organisationsprinzip von linken Bewegungen angewandt. In einer durchbürokratisiten Welt gründeten sich in den 60er Jahren Kollektive und Kommunen, die Raum für freien und spontanen Austausch zwischen Individuen jenseits starrer Konventionen schaffen wollten. Dem Widerspruch zwischen kapitalistisch indoktriniertem Individualismus und basisdemokratischer Gleichberechtigung sollte mit einfachen sozialen Regeln begegnet werden: die Eigenheiten des Anderen aushalten, seine eigene Stimme wahrnehmen und, vor allem gegen-seitiges Zuhören und Reagieren. Diesen Prinzipien folgten auch Musikgruppen, die sich Ende der 60er Jahre gründeten. Sie entwickelten Improvisationsformen des Free Jazz und der Neuen Musik weiter und zelebrierten einen offenen, gleichberechtigten Austausch. Viele der Mitglieder dieser Kollek-ti-ve avancierten zu (geistigen) Paten der internationalen Improvisationsszene: etwa Cornelius Cardew, Derek Bailey, Evan Parker oder Peter Kowald.

 

In Köln, Heimstatt der größten Musikhochschule Europas und Jazz-Stadt aus Tradition, definierte sich die Improv-Szene in den 80ern neu, indem man sich selbst organisierte: der Stadtgarten ging aus der Musikergruppe Jazzhaus Initiative hervor, das Ehrenfelder Loft wurde zu einem zentralen Spielort. Seit der Jahrtausendwen-de sind stetig neue Netzwerke hinzugekommen. 2004 etwa gründete Carl Ludwig Hübsch die »Plattform nicht dokumentierbarer Ereignis-se«, 2009 entstand das Klaeng Kollektiv. Und vor einem Jahr gründete sich Impakt, das derzeit 13 Musikerinnen und Musiker organisiert. Impakt steht für »Improvisation und Aktuelle Musik«. Die größtenteils in den 80ern geborenen und meistenteils in Köln ausgebildeten Improvisatoren sind schon seit einigen Jahren in der hiesigen Szene unterwegs. Am 30. November wird mit Evan Parker improvisiert. Der Saxofonist gehört zur legendären ersten Generation europäischer Improvisations-Musiker. Mit dem Spontaneous Music Ensemble entwickelte Parker vor gut vierzig Jahren den sogenannten »Insect Improv«, der nur zwei Regeln braucht: 1. Hörst du die anderen Musiker nicht, spielst du zu laut. 2. Passt die Musik, die du spielst, nicht zu dem was die anderen spielen, warum bist du dann in dieser Gruppe?

 

Laut Bassist Stefan Schönegg ist das Kollektiv »kein offener Verein«, aber auch kein »festes Ensemble«. Sinn des Kollektivs ist es vielmehr, mit Ähnlich-Gesinnten vor Ort und auf internationaler Bühne Kontakte zu knüpfen und die Musik einem größeren Publikum nahezubringen. Neben etablierten Orten wie dem Stadtgarten oder dem Loft bespielen sie auch Off-Locations wie die Baustelle Kalk, die sich in den letzten Jahren einen hervorragenden Namen in Sachen cross-disziplinärer Veranstaltungsphilosophie erarbeitet hat. Dass Mitglieder wie Niklas Wandt auch in szene-fremden Projekten wie der angesagten Berliner Neo-Psychedelic-Indiepop-Band Oracles aktiv sind, ist da ebenfalls durchaus hilfreich. Und zur Öffnung der Szene trägt auch ein Auftritt der »true german hateful and misanthropic free improv«-Band Blemishes der Impakt’ler Wandt, Constantin Herzog und Nicola Hein an Orten wie dem King Georg bei. Denn: nichts ist langweiliger als eine Szene mit inzestuöser Exklusivität. Schönegg betont: »Wir bringen alle sehr unterschiedliche Hintergründe und Vorlieben mit, inklusive Welt- und Volksmusiken, elektronische Musik, Noise, Popularmusik... Ich finde, das ist die große Kraft der frei improvisierten Musik, dem allen Raum zu geben.« Würde sich die Improvisierte Musik auf das etablierte (Free-)Jazz- und Neue-Musik-Vokabular oder auf reine Klangforschung beschränken, wäre sie ohnehin per definitionem in Gefahr.

 

»Improvisation ist«, notierte einst der Gitarrist Derek Bailey, »ständig im Fluss, niemals stabil und festgeschrieben; sie entzieht sich exakter Beschreibung und Analyse.« Insofern ist Impakt gut aufgestellt und wird ihrem programmatischen Akronym (eben: Improvisierte & Aktuelle Musik) gerecht. Und der politische Anspruch, das Erbe der ersten Generation, die sich noch explizit im Kontext von »1968« verortete Schöneggs Antwort verweist auf die Arbeit an der Basis: »Da stellen sich ja fremde Leute mit unterschiedlichen Hintergründen zusam-men auf die Bühne, und dann soll etwas dabei rauskommen, was irgendwie funktioniert. Das allein finde ich schon spannend genug, da ist eigentlich vieles möglich, friedliches Mit- oder Nebeneinander bis hin zum Kampf mit sich und/oder den Anderen?...« Die Zukunft bleibt unvorhersehbar, aber wenn ein Austausch auf diesem Niveau statt-finden kann, ist schon mal eines gelungen: die Gegenwart.