Pop mit den Mitteln von Techno und Trance: Coma

Flächen, Räume, Spiele

Jens-Uwe Beyer und Coma definieren elektronische Musik aus Köln neu

Es ist das große Privileg von Produzenten elektronischer Musik, dass sie sich viel schneller neu erfinden können als Kollegen, die mit Bands Musik produzieren oder sich als klassische Popkünstler entwerfen. Wenn der Erwartungsdruck des Dancefloors zu groß wird, dann produziert man eben ein Ambient-Album. 

 

Womit wir bei »The Emissary«, dem neuen Album des Kölners Jens-Uwe Beyer wären, das er entgegen seinen popigen Technoproduktionen nicht unter dem Pseudonym Pop Noname veröffentlicht, sondern unter seinem richtigen Namen. »The Emissary« erscheint auf dem von Wolfgang Voigt neu gegründeten Kompakt Sublabel Popambient. »Wenn der Meister ruft, dann sagt man nicht nein«, antwortet Jens-Uwe Beyer auf die Frage, warum das Album denn nicht auf seinem eigenen Label Magazine erscheint, das er zusammen mit seinen Kieler Jugendfreunden Daniel Ansorge (Barnt) und Credo gegründet hat. Stilistisch könnte man sich die neun Stücke des Albums auch sehr gut auf dem wunderbar unberechenbaren Label der drei vorstellen. Steht dieses doch wie wenig aktuelle Imprints für elektronische Musik für den Grundgedanken der absoluten Freiheit von Musik und vereint experimentelle Elektronik mit Dancefloorproduktionen und Songs. Ganz so, wie man es von Protagonisten erwartet, die »wegen Can, Stockhausen und Wolfgang Voigt nach Köln gezogen sind«, wie Beyer betont. 

 

Aber natürlich passt »The Emissary« absolut zu dem Etikett Popambient, das im Hause Kompakt geprägt wurde. Es ist diese Gabe, reduziert und konzentriert zu arbeiten und sich dabei nicht klein zu machen, sondern opulent zu denken, die Beyer auszeichnet. 

 

»Eine Fläche, die ewig so weiterlaufen könnte«, beschreibt Beyer, was Ambient für ihn ausmacht. »Sie ist so aufregend und schön, dass man aufhört und nicht weitermacht und einen Popsong daraus produziert.« Es geht um das Sichzurücknehmen, um das Einlassen auf Ruhe und die Fähigkeit, in einem entleerten Klangraum einen hypnotischen Rhythmus der Elemente zu erschaffen.

 

Aufgenommen hat Beyer »The Emissary« nicht im Deutzer Hafen, wo er lebt und sein Studio hat, sondern auf Fehmarn im Haus seiner Eltern, das kurz zuvor durch einen Blitzeinschlag zerstört worden war und von ihm erst wieder mitaufgebaut wurde. Hier fand er mit Blick aufs Meer die ideale Voraussetzung, um mit sich allein zu sein und ein dieser Einsamkeit ausgesetztes Ambient-Album zu produzieren.

 

Während Beyer für sein neues Album die Isolation gesucht hat, haben sich Georg Conrad und Marius Bubat, die gemeinsam das Duo Coma bilden, in die innere Migration begeben. Entstand ihr Debütalbum »In Technicolor« noch zusammen in ihrem Ehrenfelder Studio, so werkelten die beiden für den jüngst erschienenen Nachfolger »This Side Of Paradise« (Kompakt) größtenteils alleine. »Wenn man schon so lange zusammenarbeitet wie wir, dann steht man sich manchmal zu sehr auf den Füßen rum und wird zu unkritisch«, erläutert Bubat. Das sorge für Schwierigkeiten beim Aussortieren. Die Lösung: Sie schickten sich ihre Ideen digital gegenseitig zu und trafen sich lediglich an den neuralgischen Punkten, wo es einer gemeinschaftlichen Entscheidung bedurfte. »Im Normalfall sah es so aus, dass ich Marius zehn Ideen zeigte und er neun wegschmiss und die eine so weiterbrachte, dass wir sie für einen Track benutzen konnten«, merkt Conrad lachend an. Überhaupt ist Humor ein wichtiger Punkt bei Coma. Sie würden viel im Studio lachen, berichten sie, auch das fertige Album und vor allem die von ihnen benutzten Titel wie »Pinguin Power« und »Poor Knight« fänden sie schon sehr lustig. 

 

In der Tat ist »This Side Of Paradise« ein sehr heiteres Album geworden. Die bunte Klangfarbe weckt Assoziationen zu Miami, an Strände und Flamingos, an Menschen, die sich in einem Zustand des Loslassens vom Alltag befinden.

 

Bubat und Conrad produzieren Pop mit den Mitteln von Techno und Trance. Das kann hier und da schon mal sehr klebrig werden, aber wie es das Wort schon nahelegt: Man bleibt gerne dran kleben. Arbeitet der Großteil des Albums diesem Gefühl der Weichzeichnung zu, so sticht »The Wind« heraus, die gemeinsame Produktion mit ihrer langjährigen Freundin Dillon. Während ansonsten Stimmen nur fragmentiert auf dem Album vorkommen, zerhackt und verfremdet, haben sie diese hier linear stehen lassen. »Es ist das am wenigsten abstrakte Stück«, stimmt Bubat zu. »Wir wussten lange nicht, was wir machen sollten. Sie selbst wollte auf jeden Fall einen richtigen Text schreiben, aber was wir danach damit machen, war ihr egal.« Coma haben die richtige Entscheidung gefällt, da »The Wind« einen narrativen Halt in dem ansonsten frei mäanderenden Strudel gibt. 

 

Bleibt noch die Frage nach dem Albumtitel »This Side Of Paradise«, den man in Zeiten stetig wachsender Flüchtlingsströme tagespolitisch lesen könnte. Georg Conrad wiegelt ab: »Das ist aktueller Interpretationszufall.« Gewollt bezieht er sich auf den gleichnamigen Roman von F. Scott Fitzgerald , der auch »The Great Gatsby« geschrieben hat, den Bubat zufällig gelesen hat, als Coma-Artdirector Edi Winarni endlich den Titel des neuen Albums wissen wollte. »Er passte, da er genug Spielraum lässt«, meint Bubat.