Große Gefühle auf Umwegen

Cadavre de Schnaps bürstet Folk gegen den Strich

Nichts gegen Offene Bühnen. Die Veranstaltung in dieser klassischen Schluckbude auf der Kyffhäuser Straße, in die es mich verschlagen hat, ist allerdings eine würdelose Angelegenheit: An langen Tischreihen betrinken sich aufgedrehte Studis und interessieren sich nicht die Bohne dafür, dass auf der kleinen Bühne in der linken Ecke hoffnungsvolle Nachwuchsmusiker ihre Songs zum Besten geben.

 

Darunter auch Jeong-Il Sin, den die Geräuschkulisse allerdings nicht zu irritieren scheint. Ganz in sich versunken und mit geschlossenen Augen bearbeitet er seine Akustikgitarre und singt dazu mit einer Stimme, die zwischen introvertierter Sensibilität und aufgewühlter Aggression ein beeindruckend dynamisches und emotionales Spektrum abdeckt. Die Darbietung ist Folk, die Musik aber eigentlich eine ganz andere: Die verschlungenen Songstrukturen deuten in Richtung Artrock, die Haltung ist Punk. Klar scheint jedenfalls, dass Typ nicht einfach nur angetreten ist, um zu gefallen, sondern eine sehr eigenständige Position vertritt. 

 

Cadavre de Schnaps nennt sich Jeong als Musiker, und wie sich herausstellt, hat er mit »Let bad things happen« eben erst ein Album fertiggestellt, auf dem er seine Songs im Alleingang in ein hochinteressantes Gewand gepackt hat. Dabei gelingt ihm ein erstaunlicher Spagat zwischen rohem Dilettantismus und offenkundiger musikalischer Versiertheit. Die Songs beginnen oft spröde, öffnen sich plötzlich, laden ein, pendeln zwischen Kontemplation und Aggression und fallen dann wieder in sich zusammen. »Für die meisten instrumentalen Aufnahmen arbeite ich mit einem primitiven Vier-Spuren-Handrekorder, mit dem ich schnell und unkompliziert Instrumente schichten kann, vor allem Trommeln und Gitarren«, erklärt Jeong. »Da ich des Drummens nicht mächtig bin, konnte ich auf diese Weise Stück für Stück einfache Rhythmen übereinanderstapeln.« Ein echter Gewinn, weil die Musik einerseits schroff und live-mäßig klingt, andererseits aber gängige Band-arrangements umgangen werden. 

 

Die englischen Texte wirken wie ein stream of consciousness, beruhen laut Autor aber auf konkreten Sachverhalten: »Ich habe bewusst versucht, eine Direktheit in die Texte zu bringen. Trotzdem verfolgen die Songs auch längere Gedankengänge, die vermutlich nicht alle leicht nachzuvollziehen sind.« Cadavre de Schnaps geht gerne Umwege, es lohnt sich, ihm auf ihnen zu folgen.

 

CD: »Let bad things happen« erhältlich unter facebook.com/cadavredeschnaps

 

cadavredeschnaps.bandcamp.com