Mann gegen Frau

Im Horizont Theater reibt sich Jürgen Clemens an Lars von Triers »Antichrist«

Das Theater müsse »jeden Nerv und das Herz ansprechen«, schreibt der französische Dramatiker Antonin Artaud Mitte des 20. Jahrhunderts in seinem Manifest zum »Theater der Grausamkeit«. Jürgen Clemens, Regisseur des Horizont Theaters, mag sich diese Forderung zu Herzen genommen haben. Er inszeniert den Skandalstoff »Antichrist« des dänischen Regisseurs Lars von Trier. In einer düster-beklemmenden, wenn auch entschärften Fassung bringt er die Grenzzustände des Psychodramas auf die Bühne und beschwört den Sündenfall noch einmal herauf: Ein Kind stirbt, es stürzt aus dem Fenster, während seine Eltern im Nebenzimmer Sex haben.

 

Was bleibt, ist ein trauerndes Paar im Scheinwerferlicht und der zum Scheitern verurteilte Versuch, Schmerz und Verzweiflung gemeinsam zu überleben. Er (Gregor B. Lenzen), kühl und distanziert, ein Therapeut, der die Schuldgefühle seiner Frau zu heilen versucht.
Sie (Silke Natho), die traumatisierte Mutter, die vom Opfer zur brutalen Täterin avanciert — beide sind gefangen im wahnhaften Taumel, die äußere Ordnung wiederherzustellen.

 

Mit der Reise in den Wald von Eden, dem Ort, an dem Mutter und Kind ihren letzten Sommer verbrachten, zerbricht die Form endgültig — Chaos regiert. Der cineastischen Bildgewalt des Filmes setzt die Inszenierung Elemente aus Artauds Bühnensprache entgegen: Nicht Sprache, sondern körperliche Darstellungen produzieren ein spürbares Erlebnis. Die Distanz zwischen Bühnenraum und Publikum wird streckenweise aufgelöst, die Darsteller agieren aus der ersten Reihe heraus, schreien und gebärden, winden sich in der Eskalation der Gefühle. Und dennoch: Etwas zahm wirken sie, diese pseudo-expliziten Darstellungen von Sex und Gewalt, von Psychose und Abhängigkeit. Vielleicht auch, weil von Tries blutiges Finale, in der die Ehefrau erst ihren Mann kastriert, dann von ihm erwürgt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, sich auf einen Stich mit der Schere reduziert.

 

Schuldig bleibt die Inszenierung seinem Publikum vor allem eines: eine genaue Aufarbeitung des Psychogramms der feindseligen Natur, der man sich nur durch das Verdunkeln des Theaterraumes zu nähern versucht. Die Darstellung der Frau als eine von zügel-loser Naturhaftigkeit getriebenen Hysterikerin — der Schlüsselmoment der Kritik, »Antichrist« sei misogyn — bleibt auf diese Weise zusammenhangslos; das Potential, ihre Erkrankung als Widerstand gegen männliche Kontrolle zu deuten, leider ungenutzt. 

 

»Antichrist«, R: Jürgen Clemens