Hypnotische Destillate

Chargesheimer-Stipendiat Benjamin Ramírez Pérez arbeitet

an der Schnittstelle von Performance- und Videokunst

Der Begriff der Medienkunst ist heute nur noch von fragwürdigem Nutzwert. Zum einen bewegt sich die junge Kunst schon lange derart barrierefrei durch alle zur Verfügung stehenden Medien, dass es den Eindruck erweckt, als sei der explizite Hinweis darauf längst überflüssig. Zum Anderen, und dass ist dem 1988 geborenen Preisträger des »Chargesheimer-Stipendiums der Stadt Köln 2015 für Medienkunst« noch wichtiger, führt bei der Annäherung an eine künstlerische Arbeit ohnehin kein Weg daran vorbei, die Dinge beim Namen zu nennen.

 

Benjamin Ramírez Pérez arbeitet mit zwei zentralen Ausdrucksmedien, die sich in seinen Projekten mal im Alleingang,  mal in sensibler Verschmelzung gegenseitig stützen. Dies sind die Performance und das bewegte Bild. Zum Gespräch treffen wir uns an einem Schnittplatz der Kunsthochschule für Medien, an der er im Frühjahr 2015 sein Studium mit Auszeichnung abschloss, und werfen einen gemeinsamen Blick auf seine aktuelle Videoarbeit »Body Snatcher«. Im Dezember wird sie in der Preisträgerausstellung in der Artothek ihre Premiere feiern. Was ich zu sehen und hören bekomme, ist eine hochintensive Filmcollage, wirkungsähnlich einem Stück Neuer Musik, das in sich viele Strategien vergangener Projekte des Künstlers vereint. Hier ist es Barbara Lodens »Wanda«, ein wenig bekanntes Independentfilm-Liebhaberstück von 1970, auf dessen Grundlage Ramírez Pérez eine atemberaubend präzise und hypnotische Videoarbeit gelungen ist. Neben Szenen als Found-Footage extrahierte er einzelne Gegenstände des Films und baute sie skulptural nach, um sie anschließend in einem schwarzen Vakuum wieder filmisch in Szene zu setzen. Dieses Moment der Extraktion und De-Kontextualisierung ist charakteristisch für die Arbeitsweise des Künstlers. 

 

Der Spielfilm als Basis taucht in diesem Werk immer wieder auf; er dient als Grundform für komplexe Transformationsprozesse. Dabei greift Ramírez Pérez durch die bestehenden Narrationen hindurch nach den filmischen Oberflächen und arrangiert sie zu neuen formalen Gebilden. Er bedient sich dafür nicht nur des visuellen Materials, sondern auch ihres thematischen Gehalts, ihrer Geschichten und ihrer Rolle als Ikonen. Trotzdem, betont der Künstler, sollen dem Betrachter immer mehrere Zugänge offen stehen: Um zur spezifischen Form und Wirkung von »During the day my vision is perfect« (2013), seinem ersten größeren Experimentalfilm, vorzudringen, muss man mit Antonionis »L‘Avventura« und seinen Hintergründen nicht zwingend vertraut sein. Wer aber weiß, dass es um den Prozess des Verschwindens geht, der wird im künstlerischen Akt seiner Auflösung und Reanimierung zur Collage ein paralleles Muster entdecken. Ramírez Pérez sagt, dass für ihn ein besonderer Reiz in der Möglichkeit liegt, zur gleichen Zeit »das Original auszulöschen« und es mittels einer Loslösung von seiner ursprünglichen Narration gleichsam »auf seine Essenz zu reduzieren«. Das spiegelt sich in seiner filmischen Arbeit unübersehbar wieder. 

 

2013 schon erweiterte sich im Rahmen einer Seminararbeit bei KHM-Professor Phil Collins das mediale Spektrum des jungen Künstlers mit nachhaltiger Wirkung. Gemeinsam mit Ale Bachlechner und seinem Bruder Stefan Ramírez Pérez inszenierte er in Beirut eine fiktive Dating-Agentur als Performance für jeweils zwei Teilnehmer (»Twelve Roses«, 2013). Beide Ausdrucksformen, Performance und Film, sollen ihn auch in Zukunft weiter begleiten. 

 

Nachdem er 2014 für einen erneuten Rückgriff auf »L‘Avventura« mit ausgewählten Reenactments das erste Mal ein performatives Element mit seiner filmischen Arbeit verband, wurde dies für seinen diesjährigen Diplomfilm maßgeblich. Für »A fire in my brain that seperates us« (2015) sezierte Ramírez Pérez das Subgenre des Gaslighting-Films nach seinen ikonographischen Schnittmengen und narrativen Mustern. Anhand dieser Recherche inszenierte er eine Re-Performance. Die Genre-typischen Geschehnisse, Bewegungen von Möbeln wie von Geisterhand, werden von sichtbaren Nylonfäden gesteuert. Die Strategie ist die eines gezielten Scheiterns, die dem Reenactment unvermeidlich anhaftet. Denn letztlich empfindet Benjamin Ramírez Pérez‘ filmische Arbeit, trotz aller motivischer Überlagerungen, niemals etwas nach. Vielmehr entwickelt er unweigerlich eine völlig neue Form mit einem ganz eigenen Rhythmus.