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»Wir haben drei Fragen«

Ein Rom aus Freiburg berichtet, wie Minderheiten auf dem Balkan leben

Ich spreche im Namen von vielen Roma. Wir wollen, dass sich die Deutschen ein Bild von der Situation der Roma in Ex-Jugoslawien machen können.

 

Ich komme aus Mazedonien, ich komme aus Serbien, ich komme aus dem Kosovo. Ich aus Skopje, ich aus Priština, ich aus Belgrad, aus Bitola, aus Niš, aus Suareka, aus Šutka, aus Vranje, Strumitza, Nilane, Soduriza, Tetovo, Pec, Brillab, Leskovac, Kosovska Mitrovica und so weiter. Wir sind alle Roma. Roma, die ihre Geburtsländer und ihre Häuser verlassen mussten. Wir müssen gehen, weil wir unterdrückt werden.

 

Die Diskriminierung der Roma in den Balkanländern ist zu groß. Wir bekommen keine Arbeit. Damit wir für unsere Kinder etwas zu essen ergattern können, sind wir gezwungen, im informellen Sektor zu arbeiten oder auch Müll sammeln zu gehen. In den Krankenhäusern werden wir nicht behandelt — die Korruption ist so groß. Immer gieren sie nach Geld: Manche Leute geben ihnen die verlangte Summe, wir Roma aber sind arm und haben dieses Geld nicht. Sie lassen uns stundenlang auf dem Flur warten, sie schauen uns nicht mal an. Von all dem kommt die geringere Lebenserwartung: Viele Roma sterben schon mit unter 50 Jahren.

 

Wir leben in improvisierten Häusern aus Holzplatten, Blech und Plastik. Wir sind daran nicht schuld, wir möchten auch nicht so leben. Aber ohne Arbeit verdienen wir kein Geld und ohne Geld können wir kein richtiges Zuhause aufbauen. Die Dekade ist vorbei, in der die Europäische Union sich mit ihrem zehnjährigen Projekt Schule, Studium, Arbeit und Wohnmöglichkeiten für Roma in den Balkanländern verwirklichen wollte. Zudem sollten auch Straßen und eine funktionierende Kanalisation gebaut und Strom und saubere Wasserversorgung sicher gestellt werden.

 

Aber all das ist bei uns nicht geschehen, wir leben nach wie vor ohne Wasser, ohne Strom und ohne Kanalisation in unseren improvisierten Hütten. In einem kleinen Zimmer müssen mehr als fünf Personen wohnen — inmitten von Müll und Schlamm, wovon wir jeden Tag Krankheiten bekommen. Am meisten sind aber unsere Kinder davon betroffen. Und all das passiert im 21. Jahrhundert. In einem Jahrhundert, in dem die Hunde in West- und Mitteleuropa ein besseres Leben führen als wir Roma in den Balkanländern. Wegen der nationalen Probleme im Land können wir uns nicht frei bewegen. Auf den Straßen werden wir verprügelt. Unsere Kinder werden auf dem Weg zur Schule und sogar auf dem Schulhof verprügelt. Auch in unseren Häusern werden wir angegriffen. Doch wir können nicht zurückschlagen, weil sie uns sonst umbringen würden. Sogar die Polizei schützt uns nicht. Deswegen können wir die Probleme nicht melden, weil sie für uns sonst größer werden. Aber wir sind Menschen aus Fleisch und Blut wie alle anderen auch.

 

In den zurückliegenden Kriegen wurden Roma umgebracht und vertrieben, wie im Zweiten Weltkrieg, im Kosovokrieg und im Mazedonischen Krieg. In einer Welt aus Nationalstaaten fallen die Roma durchs Raster: Nur sie haben keinen Staat und kein Land. Wir haben drei Fragen: Warum sind wir Roma wie ein Dorn im Auge? Wie lange soll das noch so gehen? Und was wird mit uns weiterhin geschehen?

 


Aus der Publikation »Abgeschobene Roma in Mazedonien — Jurististische, journalistische und medizinische Recherchen«, Paperback, 126 Seiten, 84 Fotos, ISBN 978-3-00-050858-5, 12 €