Keen Jeföhl

Terror gestern und heute: Filme über Köln beim Dokumentarfilm-Festival Stranger Than Fiction

Im Geschäft von Juwelier Metin Ilbay steht ein silbern gerahmtes Foto, in dem er an der Seite der lächelnden Kanzlerin zu sehen ist. Dass es zu dieser gemeinsamen Aufnahme kam, ist ein Akt der Wiedergutmachung. Denn Ilbays Schmuckladen liegt in der Mülheimer Keupstraße. Er ist einer der Geschäftsleute, die nach dem Nagelbombenanschlag vom 9. Juni 2004 jahrelang selbst als Täter verdächtigt und schikaniert wurden, bevor bekanntermaßen durch das Auffliegen der NSU-Terrorgruppe im November 2011 die schlimme Wahrheit ans Licht kam.

 

Der Filmemacher Andreas Maus hat dem Komplex Keupstraße einen Dokumentarfilm gewidmet, der beim NRW-Schwerpunkt des Dokumentarfilm-Festivals Stranger Than Fiction seine Köln-Premiere feiern wird. Hauptfigur von »Der Kuaför von der Keupstraße« ist Özcan Yildirim (und sein Bruder Hassan), der Besitzer des Friseursalons, vor dem die auf einem Fahrrad abgelegte Bombe explodierte. Dieser Umstand und gelegentliches Glücksspiel beim Besuch in der Eckkneipe brachten Yildirim bald ins Zentrum der Verdächtigungen. Ein Desaster für die Kölner Polizei, die sich bei der Aufklärung einer rassistischen Straftat offenbar durch ihre Vorurteile selbst ein Bein stellte.

 

Im Film wird diese Realitätsverweigerung vom damalige Polizeipräsident Klaus Steffenhagen und einem Kriminalhauptkommissar bezeugt, dessen vor dem NSU-Ausschuss gegebene, ähnlich hilflose Ausführungen zu den Kölner Ermittlungen ein Schauspieler referiert. Ähnlich mixt Regisseur Maus auch im Rest des Films beobachtende Szenen und Interviews mit Re-Inszenierungen durch professionelle Darsteller, für die im Mülheimer Carlswerk ein an Lars von Triers »Dogville« erinnerndes stilisiertes Modell der Keupstraße gebaut wurde.
Wie im Vorspann des Films ausdrücklich vermerkt wird, stammen die rezitierten Texte allesamt aus den Ermittlungsakten. Dabei wird neben anderen Beschränktheiten der Ermittler noch einmal überdeutlich, wie die von den Opfern regelmäßig geäußerten Vermutungen einer rechtsradikalen Täterschaft von den Behörden lächerlich gemacht wurden und sogar noch einmal zur Verschärfung der Vorwürfe führten. Auch sonst ist der Film ein gewichtiges Dokument unfassbaren Versagens. Störend sind nur die pseudo-literarischen Kommentareinschübe und ein aufgemotztes Sounddesign, das der gut recherchierten Sache einen unnötig trashigen Touch gibt.

 

Noch viel stärker inszenatorisch überausgestattet ist das ebenfalls in Köln beheimatete Porträt »Mich kriegt ihr nicht« über den jüdischen Maler Manfred Weil, der mit viel Mut und einem dicken Batzen Glück die Verfolgung der Nazijahre überlebte. Störend an dem Film von Werner Müller ist ein onkelhaft ausufernder Kommentar, der sein Publikum offensichtlich für dumm hält, und eine aufdringliche Musikbegleitung, die oft rücksichtslos auch die Erzählungen des Protagonisten übertönt. Dazu gibt es spielfilmhafte Nachinszenierungen von Schlüsselszenen, die nur ablenken von der faszinierenden Person und der starken Geschichte des in Köln geborenen und am 6. Mai dieses Jahres in Meckenheim verstorbenen Künstlers. Denn Weil hat genug erlebt für mindestens zehn Filme — und ausreichend Wortgewalt, selbst von den dramatischen Umständen seiner Fluchtgeschichte zu erzählen.

 

Die führte ihn erst ins nahe Antwerpen und nach dem deutschen Einmarsch dort weiter nach Frankreich, wo er wie so viele andere geflohene Juden in den französischen Elendslagern Saint Cyprien und Gurs landete. Doch auch hier gelang ihm der Ausbruch, bevor er sich dann unter abenteuerlichsten Umständen zurück nach Belgien und Deutschland durchschlug. Dabei hatte er Chuzpe genug, sich einmal sogar von einer Wehrmachtsstelle einen offiziellen Marschbefehl ausstellen zu lassen. Erschütternd — und auch heute noch bedenklich — sind aber auch Weils offene Worte zum opportunistischen bis feigen Verhalten der Kölner Bevölkerung in den frühen Nazi-Jahren, wo der jüdische Junge — im großen Unterschied
zu Antwerpen — nicht einmal von einzelnen Empathie oder Solidarität erlebte.