Kölner in Berlin: Das Dreigestirn auf Staatsbesuch

Karneval als Selfie

Im Dokumentarfilm "Alaaf You" von Baris Aladag werden die Jecken zu Kameramännern

Am Anfang steht das Ende: Müde und heiser gefeierte Karnevalisten schleppen einen Nubbel vor die Türe einer Kneipe, an deren Fassade er die letzten Tage hing und hinter der knapp eine Woche lang schwer gesündigt wurde. Gleich wird die Puppe deshalb brennen müssen. Die Kneipe könnte am Ehrenfelder Le­nauplatz stehen, so genau ist das nicht zu erkennen, denn die Aufnahmen sehen nicht nur so aus, als wären sie mit dem Handy gemacht. Regisseur Baris Aladag und Produzent Eric Benz hatten vor zwei Jahren aufgerufen, privat gemachte Aufnahmen des Karnevals über eine eigens entwickelte App hoch­zuladen, um aus diesen Unmengen oft unscharfer, verwackelter, unterbelichteter Bilder einen Kinofilm entstehen zu lassen. Das Modell »Leserreporter« quasi für die große Leinwand, Karneval aus der Selfie-Perspektive. Die Macher sprechen lieber von»user-generated content« und einem »multiperspektivischen Kinofilm mit privaten Einblicken in die Fünfte Jahreszeit«. Das hat funktioniert: Mehr als tausend Aktive luden ihre Bewegtbilder hoch, 500 Stunden Material kamen im digitalen Archiv zusammen, das sofort nach Aschermittwoch gesichtet und verschlagwortet wurde.

 

Democracy Media heißt die Produktionsfirma von Aladag und Benz, und doch mochte man nicht recht auf ein reines No-Name-Konvulut vertrauen, lieber sollte eine Handvoll medial erprobter Protagonisten durch den Film leiten, für Struktur sorgen. So wurde der Sänger Clueso angesprochen, seinen Zug durch Köln — verkleidet und singend — aufzuzeichnen, und so kommt dann auch der Anti-Narr Wolfgang Niedecken zum Einsatz, der seinem jungen Musikerkollegen das Wesen des Fastelovends kölscher Prägung historisch und materialistisch erklärt. Helge Schneider darf an der Orgel der Philharmonie grüßen und das Dreigestirn um Prinz Björn I. nimmt uns mit nach Berlin zum Antrittsbesuch bei der Bundeskanzlerin.

 

Cat Ballou im Backstage-Bereich, Brings im Bus, die Höhner in der Garderobe, Funkenmariechen in den Mehrzweckhallen der Vororte — die Bilder von den Einsatzorten der Frohsinns-Profis wechseln sich ab mit den Bildern des feiernden Fußvolks, das singend und trinkend durch Straßen und Kneipen zieht. Auch Abstinenzler bekommen eine Stimme dank einer jungen Norwegerin, die alleine mit der Kamera loszieht und wie eine Kriegsreporterin das Geschehen kommentiert. Es werde sehr viel getrunken, konstatiert sie mit einem Anflug von Abscheu, und alles drehe sich um Köln. Sie sagt am Ende auch das, was Kriegsreporter gemeinhin sagen: Begreifen kann man diesen Wahnsinn nicht!

 

Nur einmal greifen die Regisseure stärker ein: Bilder vom Rosenmontag werden in Zeitlupe gezeigt, die O-Töne durch feierliche Choräle ersetzt. Doch nach diesem kurzen verstörenden Verfremdungseffekt gehört der Film wieder den Handy-Aktivisten und ihren Uploads.

 

Vorbild für Aladag und Benz war der Film »Life in a Day« von Kevin Macdonald, für den er Youtube-Nutzer auf der ganzen Welt aufgerufen hatte, einen Tag lang ihr Leben zu filmen und diesen Clip dann hochzuladen. Das Multiperspektivische des Resultats habe ihn fasziniert, sagt Benz, »es war für mich ein richtig neues Kinoerlebnis«.

 

Multipel auch die Finanzierung des Kölner Experiments: Neben der Förderung durch nahe­­liegende Partner wie dem WDR wurde auch auf Crowdfunding zurückgegriffen. Weil die Bilder aller Beteiligten zudem gewissermaßen frei Haus geliefert wurden und es am Ende die übliche kommerzielle Verwertung durch Kino, TV und DVD geben wird, geht dieses Produktionsmodell im Hinblick auf Fremdmittel sogar noch einen Schritt weiter als der Crowdfunding-Erfolg »Stromberg — Der Film«.