Seniles Superhirn

Krimi-Drama: Mr. Holmes von Bill Condon

1947, im Alter von 93 Jahren, unternimmt Sherlock Holmes die vielleicht letzte große Reise seines Lebens: Von seiner englischen Heimat aus kreuzt er einmal die gesamte eurasische Landplatte Richtung Japan. In Hiroshima erwirbt er Anispfeffer — ein Rautengewächs, dem stärkende, gar heilende Wirkungen bei allen Arten von Krankheiten, die das Erinnerungsvermögen betreffen, nachsagt werden. Der größte Detektiv aller Zeiten leidet nämlich an fortschreitender Senilität, was seine Haushälterin Mrs. Munro Tag für Tag zu spüren bekommt.

 

Nach seiner Rückkehr an die Küste von Sussex, wohin sich der Pensionist vor Dekaden zurückgezogen hat, um sich in Ruhe der Bienenzucht widmen zu können, beschäftigt er sich erneut mit jenem Fall, nach dem er seine Praxis als Privatermittler aufgab: dem merkwürdigen Verhalten von Ann Kelmot. Holmes ist sich bewusst, dass die Version seines getreuen Adlatus Dr. Watson, die als »The Adventure of the Dove Grey Glove« veröffentlicht wurde, die Fakten verfälschte. Nun gilt es, sich der Wahrheit zu erinnern — und auf deren Basis eine Geschichte zu verfassen, das erste Stück Prosa seines Lebens.

 

Wahrscheinlich rührt »Mr. Holmes« noch um einiges tiefer, wenn man Sir Arthur Conan Doyles literarische Jahrhundertschöpfung liebt, eine Voraussetzung für das Verständnis dieses filmischen Meisterwerks ist das aber nicht. Es braucht keiner Vorkenntnisse, alles, was wesentlich ist, wird einem durch den Film nahegebracht. »Mr. Holmes« ist eine Geschichte über fundamentale, existentielle Erfahrungen. Es geht um Verzweiflung und Einsamkeit, Lebensüberdruss im Schatten traumatischer Verluste, Entscheidungen, die man niemals »richtig« hätte fällen können, und schließlich um die Sehnsucht nach Vergebung, zumindest einer Art Seelenfrieden. Das alles wird erzählt anhand einer fiktiven Figur, die für viele wirklicher und wahrer ist als die meisten Menschen, denen wir im Laufe unseres Daseins begegnen.

 

Das Genie von Regisseur Bill Condon (»Gods and Monsters«) zeigt sich dabei in seiner Bescheidenheit und der Klarheit seiner Inszenierung. Seine Figuren tun hier etwas, was man im aktuellen Kino immer seltener sieht: Sie artikulieren Probleme und Widersprüche, suchen zivilisierte Lösungen, konfrontieren sich mit unangenehmen Fragen und Ansichten, finden im Gespräch zueinander. Es ist unendlich bewegend, Menschen dabei zuzuschauen, wie sie gemeinsam versuchen, ihrer aller Leben im besten Sinne freund­licher zu gestalten.