Zivilisation der Liebe

Minimalismus gilt als Ausdruck von Strenge und Konzentration, von Selbstbeschränkung, gar Selbstverleugnung, von aufopferungsvollem Durchhaltevermögen.

 

Dennoch hat der Minimalismus in der Musik eine kleine, aber feine Anzahl erhaben durchgeknallter, oberexzentrischer Musiker hervorgebracht. Was in der Musik superstreng ist, äußert sich im Auftreten, im Habitus, in der legacy der Musiker als überschäumende Persönlichkeit. Man denke nur an La Monte Young. Oder an Charlemagne Palestine, der auf der »Zivilisation der Liebe« spielen wird. Der 70jährige New Yorker Komponist und Performer soll sich bei seinen Auftritten mit Bergen von Kuscheltieren umgeben, er soll vorher und währenddessen ritualisierte Cognac-Exzesse veranstalten und sitzt angeblich nur am Boesendorfer Grand Piano (= Rolls Royce).

 

Letzteres wird für seinen Kölner Auftritt nicht zutreffen: Festival-Macher Dietmar Saxler kündigt an, Palestine werde »die Tasten der großen Kirchenorgel mit Tüchern festklemmen und alle Register ziehen«. So oder so: Der Auftritt des vielleicht letzten noch aktiven Radikal-Minimalismus-Gurus darf man getrost als Sensation bezeichnen. Seine Musik entwickelt einen Sog, obwohl fast gar nichts passiert, sie wird immer wuchtiger, immer mächtiger und erdrückt einen doch nie. Charlemagne Palestine muss man erlebt haben.

 

»Sapientias et Bonitas«, also Weisheit und Güte: So lautet das Motto der elften Ausgabe des Ambientfestivals. Für die Weisheit steht neben Palestine auch der 81jährige Hans-Joachim Roedelius, der seine Erfahrungen aus der Kraut-Zeit (Cluster, Harmonia) längst in zurückgenommene, freundliche, hochkonzentrierte Pianoskizzen überführt hat. Natürlich ist auch seine Musik nicht zeitlos, aber man wünscht sich, sie wäre es. Und die Güte? Kommt von den Jungen: etwa vom Vibrafonisten Masayoshi Fujita, dem Fieldrecording-Künstler Simon Scott (der auch einen Fieldrecording-Workshop leiten wird) oder dem Kompakt’ler Max Würden. Drei Tage Liebe zum Ambient? Das Kölner Musikjahr 2016 fängt gut an.