Chronist der angekommenen Ex-Revolutionäre: Ulrich Peltzer | Foto: ©Astrid Busch

Mao im Finanzkapitalismus

Ulrich Peltzer erzählt die Geschichte ehemaliger Linker im Getriebe des Finanzkapitalismus

Ulrich Peltzer hat ein Lebensthema. Er spürt nach, wie all diejenigen, die in den 1970ern mit Mao-Bibel und »Kapital«-Lesekurs gewappnet angetreten sind, die Welt zu verändern und diese dann auch verändert haben — aber nicht so, wie sie es damals gedacht haben.

 

In »Teil der Lösung« (2007) begibt sich ein junger Journalist auf die Suche nach einem Mitglied der Roten Brigaden und dekonstruiert bei seiner Recherche zugleich das Selbstverständnis der Aktivisten der 1970er, das nicht zu seiner ei­genen, prekären Situation in den Nullerjahren passen will.

 

Auch in »Das bessere Leben« (2015) wendet sich Peltzer wieder Protagonisten zu, die in den Politzusammenhängen der 1970er so­zialisiert wurden. Sylvester Lee Fleming arbeitet im Versicherungswesen und hat eine lupenreine US-Counterculture-Vergangenheit. In einem seiner Albträume erinnert er sich an das Kent-State-Massaker von 1970, bei dem die Nationalgarde in Ohio vier Menschen während einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg erschoss, an der er teilgenommen hatte. Heute besteht sein Job darin, Geld für ­korrupte Politiker, Militärs und Headhunter zu beschaffen und diese Zahlungen möglichst unauffällig wirken zu lassen. Jochen Brockmann, in den Grabenkämpfen linker Kleinstgruppen am Niederrhein politisch aufgewachsen, ist mittlerweile Sales Manager für einen italienischen Konzern, den er mit Schmiergeldzahlungen vor der drohenden Pleite bewahren will. ­

 

Peltzer erzählt ihre Geschichten in erlebter Rede, sodass immer wieder Erinnerungen und Ellipsen die Handlung übernehmen: Schul­proteste, Affären und Unterhaltungen mit der Partnerin am Wohnzimmertisch. All das spielt vor dem Hintergrund der boomenden Wirtschaft des Jahres 2006 – vor dem Crash –, die durch diese Erzählweise auf den ersten Blick unbeleuchtet bleibt. Geld ist in »Das bessere Leben« immer da, wie es generiert wird, erfahren wir nicht. Aber dafür bietet Peltzer eine Innensicht des Verlangens und der Subjekt­formen, die mit der gegenwärtigen Form des Spätkapitalismus untrennbar verbunden sind.