Politik ist Sex, Politik ist PR

RTL, n-tv, Viva: Bei den Kölner TV-Stationen blühen die Krisen

Eine neue Ernsthaftigkeit im deutschen Fernsehen versprach der Mann. Ja genau – dort, wo derzeit Container-Dörfer entstehen, wo zuletzt ein Big Boss eben nicht big war und weichgezeichnete Bacheloretten unweigerlich den Pornofilm im Kopf aufriefen. In einem Fernsehen, das seine Mitte verloren hat, und, jetzt ist es raus, sich zunehmend als Phänomen der Unterschicht zu erkennen gibt. Und dann das: Bedeutungsvoller solle Fernsehen wieder werden, räsonnierte im Februar >Marc Conrad, seit drei Monaten Geschäftsführer des strauchelnden TV-Marktführers RTL in seinem ersten, von Presse wie Werbeindustrie sehnlichst erwarteten Interview. Und wurde, zack, tags darauf entlassen, nach drei Monaten im Amt, rekordverdächtig.
Seitdem spekuliert die Branche, wie sowas kommt. Schließlich hatte man den Programmmacher Conrad nur mühevoll als neuen RTL-Chef anwerben können. Conrad schwieg erst monatelang, redete dann aber kess im Interview: Das Ende der Zielgruppendiskussion sah er kommen, beschwor die Bedeutung des gesellschaftlichen Kon- und des soziologischen Subtextes und erkor, nachdem RTL früher den Zuschauern mit großer Lust das Korsett geöffnet hatte, heute Politik zum neuen Sex in einem vom Hartzweh geplagten und orientierungslosen Fernsehdeutschland.
Das war wohl doch zuviel des Guten für die RTL-Gesellschafter im Hause Bertelsmann, fernab von Köln im ostwestfälischen Gütersloh. Zwar schmückt man sich dort seit ehedem PR-wirksam mit einem protestantisch beseelten Werte-Katechismus, doch wenn es hart auf hart kommt, zählt doch nur die Rendite. Seit langem schon baut der Konzern seine Wachstumsstrategie ganz auf die RTL-Gruppe und ihre Gewinne. Conrads RTL-Pläne, künftig mit »Good TV« punkten zu wollen, machten die Bertelsmänner wohl nervös. Es sei halt nicht so gelaufen wie man das erwartet habe, kommentierte lakonisch der alte und neue RTL-Chef Gerhard Zeiler. Conrad hingegen zeigte sich irritiert: Es habe keine Warnungen gegeben, und gesprochen habe man auch kaum. Aber auch cholerische Wutanfälle und private Probleme des Luxemburgers bilden Bläschen in der brodelnden Gerüchteküche. Nun also wieder Zeiler, der einmal mehr seinem Ruf als harter Sanierer und Rendite-King gerecht werden soll.

Gepflegt den Ruf ruinieren

Das wäre auch was für ein anderes Mitglied der Kölner TV-Familie. Der News-Sender >n-tv, erst vor Jahresfrist unter viel standortpolitischem Gewese an den Rhein geholt, wurde bereits ordentlich zurechtgespart, macht aber noch immer Verluste. Nichts lässt der Sender unversucht, und so ist derzeit zu beobachten, wie er seinen Ruf als Nachrichtensender gepflegt ruiniert. Zahlreiche Programmbeiträge, so fanden findige Journalisten heraus, würden gar nicht vom Sender produziert, sondern von Firmen und Organisationen, die sich so im gewünschten TV-Licht präsentieren können. Dabei handelt es sich vor allem um NGOs, Nichtregierungsorganisationen wie etwa World Vision, die ihr eigenes, selbst bezahltes Medienimage als »n-tv-Reportage« unter die Zielgruppe bringen.
Für den Sender überaus bequem: Kostenlos bekommt er ein einigermaßen seriöses Programm und kann überdies noch Werbezeiten in dessen Umfeld verkaufen. Nun haben die besagten NGOs nicht eben Schlechtes im Sinn, aber von journalistischer Unabhängigkeit, da war doch was, kann wohl keine Rede mehr sein – und das ist für einen News-Sender wie n-tv eher fatal. Auch wenn n-tv-Chefredakteur Markus Föderl abwiegelt, schließlich sei n-tv bei Auswahl, Planung und Gestaltung involviert gewesen. So werde heute eben privatrechtliches Fernsehen gemacht, findet man auch bei den beteiligten Produzenten. Da sind wir nun umstellt und penetriert von Informationen, interessant und auch schön bunt, und doch nur eine riesige PR-Kacke. So stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit der Medien – lange Zeit nurmehr Thema für altlinke Verschwörungstheoretiker – dieser Tage wieder mit neuem Elan. Dabei ist n-tv nur die Spitze des Eisberges in Zeiten, in denen sich klamme Medienunternehmen so einiges einfallen lassen, um ein wenig besser durchzukommen.

Fünfzig Arbeitsplätze und Dieter Gorny

Ohne Einfallsreichtum und Überraschung kam Ende Februar das Ende von >Viva. Viva muerta also, zumindest was den Standort Köln betrifft. Der Mutterkonzern Viacom wird das Musikfernsehgeschäft von Viva und MTV künftig am MTV-Standort in Berlin konzentrieren. 210 der 290 Arbeitsplätze in Köln-Mülheim sollen gestrichen werden. Der Betriebsrat ist außer sich, die neuen Herren besänftigen wortreich, und die NRW-Medienpolitik zeigt Verständnis. Erhalten bleiben am Rhein sollen nur die Sendetechnik von Viva plus und einzelne kleine Redaktionen – insgesamt nicht mehr als 30 bis 50 Arbeitsplätze. Und natürlich Dieter Gorny. Als Head of Department for Business Development and Network Relations MTV Networks Europe wird der Ex-Viva-Chef künftig zwischen Köln und London pendeln und direkt an die neuen MTV-Herren in London berichten: Marken schaffen, Sender kaufen, die Politik umgarnen, Sender wieder verkaufen – was man halt so tut als amtlicher Pop-TV-Pate. Das ist wohl auch nötig, denn, Berlin hin oder her, so recht weiß bislang niemand, wie’s mal weitergehen soll mit MTVIVA, wenn irgendwann auch der letzte Klingelton verkauft ist.