»Ich bin niemand, der vom Schreibtisch aus entscheidet«

Ein Jahr nach dem Tod Marie Hüllenkremers hat Köln einen neuen Kulturdezernenten: Georg Quander soll es richten. Und wird kämpfen müssen.

StadtRevue: Nach der verfahrenen Kulturpolitik der letzten Jahre erwarten jetzt viele einen Neuanfang. Wie beurteilen Sie Ihre Chance?

Georg Quander: Der Neuanfang ist sicherlich notwendig, und ich werde alles dran setzen diesen zu realisieren. Wobei ich glaube, es ist vor allem ein stimmungsmäßiger Neuanfang: Es gibt schwierige Rahmenbedingungen, geschuldet der Haushaltssituation der Stadt Köln, aber der Ruf der Kulturstadt Köln ist im Augenblick viel schlechter, als es tatsächlich die kulturellen Leistungen der Stadt sind. Hier wird zunächst einmal anzusetzen sein: In kulturpolitische Entscheidungen und Überlegungen Konsistenz hineinzubringen und Verlässlichkeit. Zweitens sind durch diese Entwicklungen natürlich die Kulturschaffenden selber in hohem Maße verunsichert, hier gilt es einfach wieder Vertrauen zu wecken.

In einer ersten Stellungnahme haben Sie sehr deutlich gesagt, der Anteil der Kultur am Gesamthaushalt müsse dringend von 2,8 auf 4 Prozent angehoben werden. Am nächsten Tag hieß es, bei den Verhandlungen hätten Sie nicht einmal den aktuellen Anteil für die Zukunft sichern können. Haben Sie Ihre erste Niederlage schon hinter sich?

Nein, der Doppelhaushalt ist ja noch nicht beschlossen, dann wird man sehen, ob die Kultur die 2,8 Prozent halten kann oder nicht.

Wir reden über den prozentualen Anteil: Auch bei schlechtesten Haushaltzahlen kann doch die Kultur gegenüber den anderen Bereichen nicht weiter absinken, oder sehen Sie das anders?

Ganz einfach gesagt: Was die Zukunft angeht, sind keine Zusagen durchsetzbar gewesen, dass die Kultur sozusagen sakrosankt ist und ausgenommen wird von allgemeinen Sparmaßnahmen. Das kann ich nachvollziehen. Mir ist aber sehr wohl gelungen, was ganz wichtig ist, dass wir von Alt-Schulden befreit werden – so dass wir dann mit dem zugeteilten Geld tatsächlich werden arbeiten können.

Welche weiteren Bedingungen haben Sie durchsetzen können?

Eine Grundbedingung war der Erhalt des Kulturamtes in der gegebenen Größe, weil sonst ein sinnvolles Arbeiten nicht möglich gewesen wäre. Als weiteren Punkt habe ich eine weitgehende Eigenverantwortlichkeit für die Ressourcen, Finanzen und Personal, gefordert, und Hoheit in Fragen der Organisationsstrukturen.

Es gibt die Erfahrung, dass man sich in Köln Zusagen schwarz auf weiß geben lassen muss – diese Bedingungen sind festgeschrieben?

Ja, meine Forderungen wurden schriftlich fixiert und vom Oberbürgermeister und den beiden Fraktionsvorständen zugesichert. Darüber hinaus gilt, dass ich als Beamter auf Zeit eingestellt werde und damit verpflichtet bin, bindenden Ratsbeschlüssen zu folgen. Sonderregelungen gelten für einen Staatsdiener ohnehin nicht.

Sie haben Erfahrung als Opernintendant, im Medienbereich und als Hochschulprofessor. Was qualifiziert Sie für ein Amt an der Spitze der städtischen Kulturverwaltung?

Ich habe in den Funktionen sehr viel mit öffentlicher Verwaltung zu tun gehabt, ich war zwar Intendant, aber auch Dienststellenleiter – immerhin von einer Dienststelle, die am Anfang 1.300 Mitarbeiter hatte und einen Gesamtetat, der alleine schon mehr als die Hälfte des Kölner Kulturetats ausmachte. Außerdem hatte ich gerade in Berlin sehr viel mit der Kulturpolitik zu tun. Ich habe daraus sehr wohl gelernt, wo es für Kultureinrichtungen sehr schwierig wird. Ich hoffe, dass es mir gelingt, das hier in Köln so zu steuern, dass ich den harten Dreck abkriege und den Kultureinrichtungen den Rücken so weit freihalten kann, dass sie zumindest kontinuierlich arbeiten können.

Die Kölner Kulturpolitik ist in Verruf gekommen nicht zuletzt durch die Interventionen des OB, der die Dezernentin und den Kulturausschuss einfach überging. Wie wollen Sie Ihren Kompetenzbereich verteidigen?

Ich habe den Eindruck, dass ich zu Herrn Schramma ein sehr vertrauensvolles Verhältnis aufbauen kann. Wir haben auch über diese, ich sage mal: inkonsistenten Entwicklungen der Vergangenheit gesprochen. Wir werden das noch ausführlicher tun, weil Herr Schramma, glaube ich, selber unglücklich ist, wie schlecht das kommuniziert worden ist.

Entschuldigung, ist da nur schlecht kommuniziert worden?

Ich war ja nicht beteiligt. Ich glaube, dass die Entscheidungen im Ergebnis am Ende richtig waren, ich gebe inhaltlich Herrn Schramma in vielen Punkten recht. Dass überhaupt eine Entscheidung auf den Tisch kam, die möglicherweise eine unangemessene war, das darf nicht passieren! Da würde ich eine ganz wesentliche Rolle von mir sehen, wenn ich einen entsprechenden Personalvorschlag mache, dann ist der auch begründet.

Konkret: Für Berufung der Opernintendantin Barbara Mundel hatten sich Dezernentin und Kulturausschuss einstimmig ausgesprochen, dann hat Herr Schramma absagen lassen.

Sie werden verstehen, dass ich mich über eine ehemalige Kollegin nicht öffentlich äußern möchte. Ich hätte das ganze Verfahren anders vorbereitet.

Ein dringliches Arbeitsfeld wird die Zukunft der Bühnen sein, in diesem Bereich sind Sie vom Fach. Was muss geschehen?

Zunächst bin ich froh, dass die Grundsatzentscheidung für die Sanierung gefallen ist, diese Maßnahmen wird man angehen müssen. Zweitens die Frage der Leitung der Bühnen, zwei Verträge stehen ja für 2007 zur Verlängerung an, der des Geschäftsführenden Intendanten und der des Schauspielintendanten. Ich möchte natürlich möglichst viele Vorstellungen sehen und mit den Persönlichkeiten, die die Häuser leiten, sprechen. Ich bin niemand, der dazu neigt, so was vom Schreibtisch aus zu entscheiden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie diffizil die Problematik an den Bühnen ist. Ganz generell halte ich die Bühnen mit dem jetzigen Zuschuss für deutlich unterfinanziert.

Hat Stadttheater in seiner traditionellen Form eine Zukunft, strukturell und ästhetisch, oder muss man ganz neue Formen stärker unterstützen?

Ich halte das für ein Erfolgsmodell, was es seit zweihundert Jahren gibt, und ich hoffe, das gibt es noch hundert Jahre weiter.

Mit der Bildenden Kunst hatten Sie professionell bisher nicht zu tun.

Nur als kulturinteressierter Besucher, deswegen freue ich mich auf diesen Bereich ganz besonders. Köln hat ja ungeheure Schätze zu bieten, und ich hoffe, dass es gemeinsam mit den Museen gelingt, wieder mehr daraus zu machen. Die jetzige Situation ist nicht durch die Häuser selber verschuldet, sondern durch die angespannte Finanzsituation, weil zum Beispiel keine Ausstellungsetats da sind. Ein Museum muss auch ein Stück heutig sein, sich öffnen, verändern, und das muss es auch mit Ausstellungen zeigen können.

Welche Ausstellung hat Sie zuletzt wirklich beeindruckt?

Die letzte war »Der Blaue Reiter« im Ludwig, die fand ich schon sehr faszinierend.

Zum Bau des Kulturzentrums am Neumarkt haben Sie sich bereits an anderer Stelle positiv geäußert. Was ist gut daran?

Ich finde positiv, dass die Entscheidung gefallen ist, dass da nicht ein Loch bleibt, das berühmte Kölner Loch

Das dürfte konsensfähig sein. Fraglich ist, ob die Lücke sinnvoll gefüllt wird.

Ich glaube zum Beispiel, dass eine Stadt wie Köln unbedingt wieder eine Kunsthalle braucht, und da sie nun mal da geplant war finde ich es auch gut, dass sie in zentraler Lage entsteht.

Sie erwähnten anfangs eine bessere Zusammenarbeit zwischen Stadt und Kulturschaffenden. Braucht es hier auch neue Strukturen, halbformelle wie Runde Tische oder Ähnliches?

Das hängt immer vom Thema ab. Häufig, dass muss man ganz ehrlich sagen, sind solche Runden Tische auch eine Beschwichtigungsveranstaltung. Da wird stundenlang geredet, gut gemeint, und es kommt am Ende nichts heraus, aber man hat wieder Zeit gewonnen. Das finde ich unehrliche Politik. Das ist ja wie bei Fördergeschichten: Wenn ich ein Gremium berufe, das mich beraten soll, muss ich diesem Rat auch folgen!
Bei der ersten offiziellen Vorstellung haben Sie eine blaue Hawaiikrawatte mit Palmen und »Hula«-Aufschrift getragen, was die stilbewusste Kulturszene kurzfristig in

Unruhe versetzte – war das Mode oder eine Aussage zum politischen Klima?

(lacht) Nein, ich dachte ich sollte vielleicht etwas anziehen, was ein bisschen fröhlich ausschaut. Kultur hat doch neben ihrer Ernsthaftigkeit sehr mit Lebensqualität zu tun, deswegen darf man als Kulturdezernent ein Stückchen von dieser Lebenslust abstrahlen.

ENDE INTERVIEW


DIE ERSTE-WOCHE-BILANZ: FAKTEN UND MEINUNGEN

Zur Person: Georg Quander, geboren 1950 in Düsseldorf, Studium Theaterwissenschaft, Musikwissenschaft, Kunstgeschichte, Altamerikanistik an der FU Berlin. 1979-87 Redakteur für ernste Musik beim SFB, 1988-91 Hauptabteilungsleiter Musik und Unterhaltung RIAS Berlin. 1991 bis 2002 Intendant der Deutschen Staatsoper Berlin, eigene Regie-Arbeiten. Seit 1999 Dozent an der Hochschule Bremen (Musik und Kulturmanagement), 2002 Ernennung zum Professor. Verheiratet, zwei Töchter.

Findungskomission Quander ist der Überraschungskandidat aus der zweiten Reihe und dem temporären Off: Für die letzten zwei Jahren listet Google Seminarangebote des Professors und einige gescheiterte Bewerbungen.

Kölner Resonanz Positiv bis verhalten ungehalten. Die Freie Szene in Person Reiner Michalke (KulturNetz Köln) wittert Hochkulturdünkel, Peter Bach vom Kulturrat weiß irgendwoher dass Quander »unabhängig und konzeptionell denkt«, Kasper König schweigt ausnahmsweise, der geschäftsführende Bühnen-Intendant Raddatz lobt, dass Quander theatererfahren ist und erfreut uns mit dem polyvalenten Statement: »Interessant ist auch, dass man als Intendant Dezernent werden kann – das eröffnet ganz neue Perspektiven«. Klingt wie: Hätte ich das gewusst!

Medien Die Kölner Tagesblätter sind mit der Regierungskoalition freundlich einer positiven Meinung. Die SZ kommt am zweiten Tag gehässig daher: Köln und Quander, da haben sich zwei Zweitligaspieler gefunden. Die taz nutzt ihren Standortvorteil und lässt Quanders Berliner Vergangenheit an der Lindenoper auseinander nehmen – übrig bleibt ein »Weichspüler von der Spree«.

Ratsentscheid Quander wird am 28.4. mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP, Pro Köln und Rep. gewählt, Grüne und PDS enthalten sich.
Amtszeit: acht Jahre.

Erfreulich Den Erhalt des Kulturamts hat Quander zur Bedingung gemacht und so dessen geplante Quasi-Auflösung verhindert, außerdem konnte er die Alt-Schulden loswerden.

Bedenklich Ein Bürgerlich-Konservativer, der die Hochkultur kennt und liebt, aber sein Interesse an Kunst als kritischer Instanz und radikalem Experimentierfeld bislang geheim gehalten hat: Und: Wenn man sich mit einem artigen Besuch bei Pro Köln vorstellt, sollte man nicht überrascht sein, wenn die einem hinterher das Wort im
Munde nach rechts verdrehen.