Geschlossene Gesellschaft

Kammerspiel im Breitwandformat: The Hateful 8 von Quentin Tarantino

Wyoming im Winter, nicht allzu lang nach dem Bürgerkrieg. In einem Kurzwarenladen im gebirgigen Nirgendwo trifft eine Gruppe von ausnehmend widerwärtigen, aber ebenso schillernden und fas­zinierenden Charakteren aufeinander: 1. Der afroamerikanische Major Marquis Warren, der die Leichen einiger vom Staat Gesuchter in die Stadt Red Rock bringen will, um dort seine Belohnung zu kassieren. 2. Der brutale Kopfgeldjäger John Ruth. 3. Die Verbrecherin Daisy Domergue, eine Gefangene von Ruth, an deren Tod durch den Strang er sich zu ergötzen gedenkt. 4. Chris Mannix, der angebliche neue Sheriff von Red Rock, Spross einer Südstaaten-Rassisten-Familie. 5. Bob, ein Mexikaner, der behauptet, den Kurzwarenladen in Ab­we­senheit seiner Besitzerin Minnie zu bewachen. 6. Oswaldo Mobray, ein Brite, nach eigenem Bekunden Red Rocks neuer Henker. 7. Joe Gage, ein schweigsamer Cowboy.

 

8. Sanford Smithers, der als General für die Südstaaten kämpfte, was ihn dem ehemaligen Nordstaaten-Major Warren verdammt unsym­pathisch macht. Während ein Schneesturm um die Hütte immer heftiger tobt, fallen in deren Enge alle Masken.

 

Als John Sturges im Jahr 1960 Kurosawa Akiras Historienspektakel »Sieben Samurai« (1954) als Western »Die glorreichen Sieben« neu verfilmte, war politisch aufmerksamen Zuschauern klar, dass hier (auch) Außenpolitik gemacht, der US-»Beschützer«-Mission in den ärmeren Regionen der Erde eine genuin amerikanische Genre-Gestalt verliehen wurde. 55 Jahre später schaut Quentin Tarantino nicht hinaus in die Welt, sondern tief hinein in die Seele des eigenen Landes, dem nun in Form eines Winter-Western der stets besonders erkenntnisförderliche Zerrspiegel vorgehalten wird. Die von ihm dafür gewählte Form ist angemessen paradox: Ein Kammerspiel in Ultra Panavision 70 (siehe Kasten), dessen Drama oft genug in all den physischen Details liegt, die man nur in diesem Format klar sieht, wie etwa das Beben einzelner Haare oder die Maserung eines Holzpfeilers.

 

Gezeigt wird, wie Menschen sich gegenseitig zerfleischen, wie Worte verwunden, Geschichten verstören, Worten Taten folgen, fast unweigerlich mit tödlichem Ausgang. Alles kommt auf den Tisch, was in den USA (und sonstwo, vielleicht sogar in Köln) die Gesellschaft von Innen her ­zersetzt, zerreißt: Misogynie, ­Rassismus, Opportunismus, Selbstüberschätzung, Neid.

 

Tarantinos auf dem silbernen Tablett präsentierte filmhistorische Referenzen sind dabei vielsagend. Nur ein Beispiel: Charles Marquis Warren hieß auch ein Autor, Regisseur und Produzent, der nicht nur die Fernsehserie »Rawhide« (1959–65) erfunden, sondern auch einige brutal unversöhnliche Western zu Fragen des Rassismus inszeniert hat, wie etwa »Little Big Horn« (1951), »Arrowhead« (1953), »Trooper Hook« (1957). Warren war ein Konservativer, der die richtigen Fragen stellte, abgeklärt-kühl zu erzählen verstand und nie wohlfeile Antworten gab.

 

Das Ende von »The Hateful 8« kann man sich schon nach einer Stunde gut vorstellen, den Weg dahin jedoch nicht. Überraschenderweise verbirgt sich in dem Western auch noch ein Mystery-Krimi im, englischen Agatha-Christie-Sinne des Wortes. Trotz aller Breite und Tiefe des Raumes hat man doch nicht immer alles gesehen. Dass die Begegnung der Bösen und Verdammten brutal eskalieren wird, das ist dagegen klar. Denn ­wie sagte schon der Kämpfer gegen die Sklaverei John Brown am Tag seiner Hinrichtung durch den Strang im Jahr 1859: »Die Verbrechen dieses schuldigen Landes werden niemals reingewaschen werden außer mit Blut.«