Ramponiertes Paris
Das Interesse an einem Film wird gewöhnlich über Thema und Inhalt geweckt. Doch die zu skizzieren, würde im Fall des Franzosen Philippe Garrel eher in die Irre führen. Der Nestor des europäischen Autorenfilms, der es in seiner mittlerweile 50-jährigen Regiekarriere trotz vieler internationaler Auszeichnungen nur sporadisch in deutsche Kinos geschafft hat, erzählt eine Be-ziehungs- und Trennungsgeschichte, die an Schlichtheit kaum zu überbieten ist. Und doch ist sein Film von großem cineastischen Reiz.
Man sollte die Handlung eher als Versuchsanordnung verstehen. Prototypische Figuren werden zur Reaktionen gebracht: Mann und Frau, Liebhaber und Geliebte, das Stammpersonal großen Leinwandepen. Pierre (Stanislas Merhar), ein mäßig erfolgreicher Dokumentarfilmer, ist ernüchtert von der Ehe mit seiner Frau Manon (Clotilde Courau). Er gönnt sich eine Affäre mit der Praktikantin (Lena Paugam), die in einem Filmarchiv arbeitet. Aber auch der Seitensprung wird Pierre bald zur Last. Der Mann will seine Unabhängigkeit und wirkt dabei wie ein verspäteter Held der Nouvelle Vague, der bedeutendsten Strömung des französischen Kinos zwischen den späten 50er und frühen 70er Jahren, als auch Garrel sich erste Meriten verdiente. Der Bruch mit dem bürgerlichen Rollenverständnis war seinerzeit das zentrale Thema. Doch leider vorwiegend aus männlicher Sicht, wie uns Garrel nun mit einer leichten Variation des Grundmotivs vor Augen führt. Manon hat selbst einen Liebhaber, ganz beiläufig und wie selbstverständlich, worüber Pierre schlagartig in bürgerliche Reaktionsmuster zurückverfällt. Es folgen weinerliche Eifersuchtsszenen und schließlich das Scheitern einer im Grunde intakten, symbiotischen Beziehung.
Stanislas Merhar interpretiert diesen Pierre als ein abgegriffenes Filmzitat, lethargisch, arrogant und aus der Mode gekommen. Die Schwarzweiß-Fotografie schafft zusätzliche Klarheit: Mit Renato Berta stand ein Veteran der Nouvelle Vague hinter der Kamera, der schon mit Truffaut, Chabrol, Godard und Rivette gearbeitet hat. In Bertas Bildern erscheint Paris wie eine ramponierte Kulisse glanzvoller Kinotage. Es ist dieses ironische und selbstironische Spiel mit dem Medium, das Garrels Film so amüsant und sehenswert macht. Nicht zufällig ist sein Protagonist Regisseur, dazu einer, der die Wirklichkeit abbilden, nicht inszenieren will. Pierre arbeitet an einem Dokumentarfilm über einen alten Resistance-Kämpfer, der beim Tee seiner Frau die Husarenstücke seiner Jugend erzählt. Dieser Binnengeschichte gibt Garrel eine unerwartete Wendung und pointiert so in souveräner Beiläufigkeit Pierres Dilemma mit den Geschlechterrollen. Der Mann ist am Ende nur ein Schatten seiner selbst.