Mit 88 Jahren

Dokumentarfilm: Family Business von Christiane Büchner

Polen, Lubin. Jowita lebt mit ihrer Familie in einem unfertigen Haus: Von außen sieht alles proper und solide aus, doch drinnen ist es fast leer. Ein paar Zimmer wirken ­halbwegs eingerichtet, doch im Großen und Ganzen wohnen sie in einem Provisorium — keine Küche, kein eigenes Zimmer für die Tochter im schlimmsten Teenie-Alter und zwischendrin der Hund. Die Familie braucht Geld, und Jowita will es besorgen, als Pflegerin im Nachbarland.

 

Bundesrepublik Deutschland, Bochum. Anne ist 88 Jahre alt und seit jüngstem Witwe. Die Kinder müssen sich nun um die alte Dame kümmern. Das stellt sich als komplizierter heraus, als gedacht. Anne ist dement und kann deshalb nicht mehr allein den Haushalt führen. Ihr verstorbener Gatte hatte das immer gut überspielt, und die Kinder hatten sich das wahrscheinlich auch gern vorspielen lassen. Doch jetzt lassen sich die Tatsachen nicht mehr verleugnen. Und so tritt Jowita in Annes Leben.

 

Am Anfang zeigt Christiane Büchner in »Family Business« einen Lebenskreislauf aus wunderschönen, leicht stilisiert gestalteten Papierpuppen, mit dem demonstriert wird, wie die menschliche Existenz traditionell in Familien­zusammenhängen verlief —  beziehungsweise immer noch verlaufen sollte. Theoretisch. Praktisch hat sich unsere Kultur längst anders entwickelt, weg von dieser Form eines Daseins in Kleinkollektiven hin zu einer immer stärkeren Vereinzelung. Das ist als solches auch nicht dramatisch, fordert aber, dass wir unsere Leben anders betrachten, wahrnehmen und organisieren — auch wenn sich das erst einmal befremdlich anfühlt für alle Beteiligten und vielleicht ein wenig beschämend für die Unterstützungs­bedürftigen.

 

Genau davon erzählt Büchners lebenskluger, uneitler und menschenfreundlicher Film. »Family Business« ist eine Rarität im aktuellen Dokumentarkino: Er zeigt Zusammenhänge auf, erklärt sie und zieht daraus gesellschaftliche Schlüsse; er bietet also etwas Handfestes, Nützliches, und das in einer transparent-aufklärerischen, im nobelsten Sinne didaktischen Weise. Dabei bleibt er immer mit den Füßen fest auf dem Boden, verliert sich nicht in gestalterischem Schnickschnack, glaubt nicht, man müsse den Dokumentarfilm »sexy« machen. Büchner, die Studentin an der Kölner Kunsthochschule für Medien war, weiß, dass das menschliche Miteinander auch so interessant genug ist — und zu Zeiten außerordentlich amüsant und berührend.