Regentropfen auf Markisen

Für die Details des Kölner Elektropop-Duos Vimes muss man sich langsam öffnen

Es sind zwar schon drei Tage seit Silvester vergangen, als ich Azhar Syed und Julian Stetter in einer Trattoria am Sudermannplatz treffe, um über ihr Debütalbum unter dem Imprint Vimes zu sprechen. Doch das gesundheitliche Nachbeben des Jahreswechsels hat die beiden gezeichnet. Während Syeds’ grippaler Infekt in voller Blüte steht, eingefangen beim häuslichen Jahreswechsel vom Nachwuchs des Bruders, berichtet Stetter von den wilden Partybegebenheiten im neuen Ehrenfelder Club Jack Who, wo er auch mitmischt. Der Infekt ließ nicht lange auf sich warten.

 

Kennengelernt haben sich Syed und Stetter ursprünglich über Praktika bei der Kölner Musikzeitschrift Intro, quasi bei der Staffelübergabe. Das reichte aber, um in der Folge zu­nächst eine WG zusammen zu grün­den und sich in dieser dann intensiv über die Unver­bind­lich­keit ihrer jeweiligen Mitmu­siker auszulassen. Es sollte nicht lange dauern, bis der Entschluss feststand, es ge­meinsam zu versuchen, zumal beide gerade dabei waren, sich von der Gitarrenmusik ihrer Jugend zu lösen und neue Sounds zu entdecken. »Wir sind durch den Umzug nach Köln mit elektronischer Musik in Verbindung gekommen, die in un­seren vorherigen Lebenswelten bis dahin nicht vorkam«, führt Stetter aus und verweist, wie so viele vor ihm, auf Kompakt als wichtigen Einfluss.

 

Hört man jedoch ihr demnächst erscheinendes Debütalbum »Nights In Limbo«, so muss man weniger an den Technosound des Kölner Mutterschiffs denken, sondern primär an jenen Spagat aus Indiepop und Elektronik, wie ihn eine Band wie Postal Service Anfang der Nullerjahre zu kultivieren begann. Ein Vergleich, der den beiden gefällt. Stetter merkt an, dass diese »Mischung nicht aus Kalkül passiert« sei, sondern das natürliche Ergebnis der eigenen Sozialisation mit Popmusik und der Neugierde auf diese Musik, die um sie herum ausgelebt wurde.

 

Eine Soundmischung, die der Vimesschen Tendenz hin zum leiten­den Narrativ zuarbeitet. Denn Syed und Stetter schätzen nicht nur eingängige Melodien, sondern eben auch erzählende Texte. Darauf ange­sprochen, dass diese zumeist einen schwermütigen Vibe vermitteln, murmelt Azhar Syed ein leises »das mag ich«. Viel mehr will er aber dazu nicht sagen. »Es fällt mir schwer, über die Texte Auskunft zu geben. Natürlich ist es auch nur ein Klischee, wenn man sagt, dass sich jeder gemäß seiner Stimmung etwas rausziehen soll, aber eins das ich mag.« Und dann fügt er doch noch hinzu, dass ihm Texte mit Botschaft wichtig seien, da sie helfen würden, die Halbwertzeit der Songs zu steigern.

 

Hört man »Nights in Limbo«, so realisiert man schnell, wie wenig von den dreizehn Songs man sofort in sich aufnehmen kann. Die Details zeigen sich erst peu à peu beim wie­derholten Hören. So basiert das den Song führende perkussive Moment in »Hopeful« auf Regentropfen, die auf die Markise des WG-Balkons niederprasselten. Oft sind die von den beiden aufgenommen Field Recordings noch subtiler eingebaut. »Die besten Sounds sind immer jene, die man nur bemerkt, wenn sie nicht da wären«, betont Syed und wirft einige Beispiele für kleine Geräusche ein, die jeweils aber viel für die Stimmung ausmachen würden, da sie die »speziellen Soundiden­ti­tä­ten der bereisten Städte« einbringen. Schließlich klinge Köln ganz anders als Mexico City. Überhaupt ginge es ihnen sehr um die Stimmungen der Stücke und nicht um »perfekte Aufnahmen«, ergänzt Stetter und verweist auf die leicht schräge Gesangsspur bei »Celestial«, die nachts um vier Uhr spontan ins Laptopmikro gecroont wurde.

 

Bevor vor lauter Songs aber der Club zu kurz kommt, sei angemerkt, dass die Vimes auf »Nights in Limbo« auch ihr »Herz für den Club« nicht vernachlässigen. Ein gutes Beispiel hierfür ist »Tuem«, das kurz vor Ende der Produktion entstand und auf einer emotional aufgeladenen Soundfläche und zwei abstrahierten Textzeilen herum aufgebaut wurde. »Es galt, einen stimmigen Ablauf aus konkreten Songs und abstrakten Tracks zu entwerfen«, bringt Syed die größte Herausforderung der Albumproduktion auf den Punkt — und die Anschlussfrage, ob ein Album überhaupt heutzutage noch so viele Stücke enthalten darf. Aber welche weglassen? Etwa das verträumte »Rudal« oder das kokette »Ential«, die beiden Stücke, mit denen Vimes früh internationales Feedback auf ihre Musik bekommen haben, die aber eben auch schon etwas älter sind? Angesichts der Marke von einen Millionen Spotify-Aufrufen, die die Vimes nicht zuletzt ihretwegen neulich erreicht haben, erscheint dies als eine mehr als absurde Diskussion, und so landeten sie zu Recht auf dem Album.

 

Generell habe das große Interesse, das ihnen entgegen kam und ihnen Einladungen zum SXSW-Festival in Austin und dem »Great Escape«-Festival in Brighton sowie Auftritte im Vorprogamm von Hot Chip in Mexiko einbrachte, aber dazu geführt, dass »wir unsere Coolness verloren und die Sache zu überernst genommen haben«, gibt Stetter zu. »Doch auch wenn von den vielen potentiellen Hörern, die es offensichtlich gibt, neun von zehn etwas anderes hören wollen, man muss hinter dem, was man macht, immer stehen können.« Eine bedeutende Rolle bei der ­Findung der dazu notwendigen eigenen Souveränität spielte ihr Produzent Jochen Naaf, nicht zuletzt da er die richtigen Schlussworte für jeden Song des Albums im Produzentenvokabular fand: »Schluss jetzt, das ist perfekt so!«