Elixier und Fluch

Die kurze Karriere der Jutta Hipp

In kaum einer Spielart der modernen Unterhaltungsmusik sind Frauen so unterrepräsentiert wie im Jazz, lässt man die Sängerinnen mal außen vor. Jutta Hipp, 1925 in Leipzig geboren, ist zudem kein Name, den man sofort einordnen könnte. Dabei hat die Dame, der nach dem Willen ihrer Eltern, die die Jazzleidenschaft ihrer rebellischen Tochter nicht teilten, eine Karriere als Grafikerin oder Zeichnerin bevorstand, historisch Einmaliges vollbracht: Sie war die erste Europäerin und erst zweite Weiße (aber natürlich erste Frau), die vom aufstrebenden Blue Note-Label unter Vertrag genommen wurde.

 

Das war 1956, ein Jahr zuvor war die unkonventionelle Pianistin auf Initiative des Produzenten ­Leonard Feather aus Frankfurt in die USA übergesiedelt. Was muss das für ein Gefühl gewesen sein für die Dame aus dem stickigen Nachkriegs­deutsch­land: New York, seine Clubs, Jazz, ihr Lebenselixier und Fluch zugleich. Für einige Monate spielt Hipp mit ihrem Trio im Hickory House. Aber die Atmosphäre des Edel­jazzclubs bedrückt sie, die ame­rikanische Szene ist ihr zu sehr auf die Show ausgerichtet, damit kann sie sich, auch aufgrund ihres enormen Lampenfiebers, das sie zunehmend mit Alkohol in den Griff zu bekommen sucht, nicht arrangieren. Ihre Karriere gerät bald ins Stocken.

 

Bereits während des Krieges kam Jutta Hipp in Kontakt mit dem Leipziger Hot Club, einer klandestinen Vereinigung von Jazz-Enthusias­ten. Nach der Befreiung und dem Ende des Krieges gründete Jutta Hipp ihre erste Band, das Lindenstadt Swing Quintett, dessen bekanntestes Mitglied sicherlich der Klarinettist Rolf Kühn war. Gemeinsam mit Teddy Neubert und Thomas Buhé setzt sich Hipp im März 1946 in den Westen ab. Insbesondere in der Jazzmetropole Frank­furt am Main schießen die Nachtlokale wie Pilze aus dem Boden, die Stadt entwickelt sich zum Zentrum des deutschen Cool Jazz, auch in München und Köln brodelt es, und Hipp definiert den Stil. Sie spielt mit Hans Koller, Anfang 1953 gründet sie mit Joki Freund und Emil Mangelsdorff die erste Formation unter ihrem eigenen Namen.

 

Sämtliche Aufnahmen der Jutta Hipp versammelt eine jünsgt erschie­nen 6-CD-Box, beiliegt eine 200 Seiten starke Bildbiografie. Die Spanne reicht von ers­ten Leipziger Gehversuchen bis zu ihrer letzten Platte, einem Blue-Note-Album mit Saxofonist Zoot Sims (1956). Zwar arbeitete Hipp noch mit Jesse Powell und Charles Mingus, zog sich aber aus dem Business und von der Büh­­ne zurück. Sie trat eine Beschäf­ti­gung in einer Kleider­fabrik an und widmete sich ihrer zweiten Leidenschaft, dem Zeichnen und der Malerei. Sie stirbt 2003 in New York. Nach Deutschland kehrte sie nie zurück.