Isoliert zwischen Hyänen: Tobi Bamborschke | Foto: Thomas Venker

Dieser Euphorie im Elend ausgesetzt

Isolation Berlin schwelgen in düsteren Gefühlszuständen

Der Pop-Betrieb liebt seine Listen. Gerade noch wird am Ende des alten Jahres auf die Tops und Flops zurückgeblickt, da geht das Spiel schon wieder von vorne los, und die Prognosen für das kommende Jahr werden in den Netzwerken der Sozialen Medien herausgebrüllt.

 

Kaum eine solche Liste für 2016, auf der nicht fett gedruckt Isolation Berlin auftauchte. Allzu verständlich, denn Tobias »Tobi« Bamborschke, Max Bauer, David Specht und Simeon Cöster bringen alles mit sich, was es dazu braucht: eingängigen Indierock mit poetischen Texten, vier einnehmende Charaktere, allen voran der Sänger Bamborschke, der so leidenschaftlich an der Welt und sich leidet, dass man ihn einfach nur in den Arm nehmen will (auch wenn er das ganz sicher nicht möchte) und im Takt seiner eigenen Songs wiegen.

 

Nun werden solche Erwartungshaltungen oft zu einer großen Belastung, gerade für eine junge Band, deren Mitglieder zusammen noch keine hundert Jahre alt sind. Man kann sie aber auch geflissentlich ignorieren, wie Bamborschke mir erzählt: »Alle fragen nach dem Druck, aber wir spüren keinen — noch nicht. Wir denken über so etwas nicht nach.«

 

Wir sind für unser Treffen an diesem kalten, aber sehr schönen Februartag extra an den Berliner Schlachtensee herausgefahren. Es sei sein Lieblingsort in Berlin, führt der in Köln geborene aber schon mit 13 Jahren nach Berlin gezogene Bamborschke aus. »Ich war an keinem anderen Ort in Berlin so oft wie hier. Meine Großeltern haben lange hier gelebt, und ich hänge hier seit meiner frühsten Kindheit viel ab.« Damit hat es sich aber auch schon mit positiven Gefühlen über Berlin. Bamborschke spricht davon, an der Stadt zerbrochen zu sein: »Ich habe in Berlin eine unglaubliche soziale Kälte und Anonymität gespürt. Wenn es einem mal schlecht geht, ist man super einsam hier. Die Leute sind so abgehärtet, dass sie nichts wahrnehmen wollen vom Leid der anderen, sie empfinden das als Belastung und machen die Augen zu und wollen sich nur selbst berauschen. Dabei sieht man den ganzen Tag soviele Schicksale, die einen total fertig machen.«

 

Dass alle um ihn herum das gar nicht so fühlten, sondern im Gegenteil sehr euphorisch waren, weckte in Bamborschke den Zustand der »Isolation zwischen den Hyänen, die sich vollpumpen mit ihren scheiß Drogen und denen es nur um ihre Klamotten und Clubs geht — ich war dieser Euphorie im Elend ausgesetzt«. Das persönliche Zerbrechen als der künstlerische Erweckungsmoment für alle Zeiten ist im Namen Isolation Berlin festgehalten. »Ja, alles wurde losgetreten von der Krise«, führt Bamborschke aus. »Ich habe mich von allen getrennt, von meiner Freundin, von Bekannten. Ich machte dicht und hatte so die Konsequenz, mich nur darum zu kümmern, was mir gefällt. Wenn man in einem Gefüge drin ist, hat man immer Angst, dass das Umfeld das nicht gut findet. Wenn man alleine ist, ist das scheißegal.«

 

Als er dann noch Leute fand, die seine Songs »emotional verstanden und ähnlich tickten«, gab es keine Hindernisse mehr, wie man an dem seitdem nicht enden wollenden Songstrom von Isolation Berlin sehen kann. Diese immense Produktivität führt nun zu gleich zwei parallel erscheinenden Alben: die Zusammenstellung ihrer bisherigen Singles »Protopop« sowie das ausschließlich neue Songs enthaltende »Und aus den Wolken tropft die Zeit«.


Über »Protopop« lässt es sich leichter reden, weil man die Hitqualität der Musik schon in diversen Indiekontexten von Konzert bis Disco verifizieren konnte, allen voran jene der Single-Hits »Aquarium«, »Der Bus der stillen Hoffnung« und »Alles Grau«. Letzterer brachte Isolation Berlin nicht nur jede Menge (und sie nervende) Vergleiche mit Ton Steine Scherben und Rio Reiser ein, sondern auch eine Einladung zur jährlichen November-Depressions-Gala von Christiane Rössinger in die Berliner Flittchen Bar. Der Text passte einfach zu gut zum Partykonzept der früheren Lassie-Singers-Sängerin: »Alles grau, alles grau in grau, Alles kalt, alles kalt, kalt, kalt. Asche zu Asche, Staub zu Staub, Alles Rauch, alles Schall und Rauch — ich hab endlich keine Träume mehr, ich hab endlich keine Hoffnung mehr.«

 

Nicht nur »Alles Grau« kommt mit besten Depressions-Empfehlungen daher, die Texte von Tobias Bamborschke sind generell nicht gerade reich an positiven Gefühlszuständen — wobei das Spektrum von Selbsthass und Suizidgedanken über Verlustängste und real verglühte Liebe bis hin zum Sujet Hoffnungslosigkeit reicht.

 

Nun mochten es Twenty-Somethings schon immer mit nihilistischen Gedanken und Weltuntergangsstimmung zu flirten, doch bei Bamborschke dreht sich der Strudel deutlicher heftiger, er droht in der Tat in der »Isolation Berlin« zu versinken und im Meer der Gottverlassenheit und Anonymität zu versinken. Oder um es mit seinen eigenen Textzeilen zu sagen: »Man sagt der Schlaf wär der kleine Bruder vom Tod — und jetzt schlaf, gib endlich Ruh« (»Lisa«), »Ich habe keine Angst vor dem Sterben mehr« (»Alles Grau«), »Ich glaube, ich nehme die nächste U-Bahn und fahr zum Bahnhof Zoo. Dann nehm ich mir ’nen Strick und häng mich auf im Damenklo« (»Isolation Berlin«, zitiert aus »Christiane F«).

 

Man muss schon sehr geerdet sein, um dabei nicht selbst ein bisschen in die Knie zu gehen. Insofern sind die Konzerte der Band ein gutes Korrekturmoment für ihre Songs. Denn auf der Bühne brechen diese aus ihrer düsteren Klarheit aus und werden angenehm brüchig und offen für andere Verlaufslinien. Der Auftritt im Rahmen der Flittchen Bar ist ein Strudel aus Hingabe und Lärm, die zerstäubende Dekonstruktion des eigenen Songmaterials und zugleich dessen Bestätigung. Nicht dass plötzlich alles positiv wäre, aber es könnte alles doch auch anders ausgehen: gut.

 

 

Tonträger: »Berliner Schule/Protopop« und »Und aus den Wolken tropft die Zeit« sind bereits auf Staatsakt (Universal Music) erschienen.