Sarah Nemtsov: Mekomot

Im Internet kursiert zurzeit ein Video, in dem zu sehen ist, wie sich eine junge Frau in einem Lokal gegen den Versuch einer sexuellen Belästigung zur Wehr setzt. Mit wenigen Handgriffen und gezielten Schlägen setzt sie drei Männer innerhalb von einer halben Minute außer Gefecht. Das Video klärt darüber auf, dass die Frau Krav Maga beherrscht. Krav Maga ist eine israelische Selbstverteidigungsart, die in den 30er Jahren von dem Budapester Ringer Imrich Lichtenfeld entwickelt wurde, um sich gegen antisemitische Angriffe verteidigen zu können.

 

Was bedeutet es heute, in Deutschland Jude zu sein? Siebzig Jahre nach dem Holocaust müssen hierzulande jüdische Einrichtungen wie Schulen, Kitas und Synagogen von der Polizei rund um die Uhr geschützt werden, antisemitische Angriffe sind an der Tages­ordnung.

 

Wenn nun im Rahmen des Kölner Festivals »Forum neue Musik — Jüdische Identitäten« das Projekt »Mekomot« vorgestellt wird, dann ist in diesem Zusammenhang das dem Projekt zu Grunde liegende Konzept sinnfällig. Die Berliner Komponistin Sarah Nemtsov und vier weitere junge jüdische, in Deutschland lebende Komponisten haben fünf Stücke geschrieben, die in zwanzig verwaisten Synagogen, hebräisch: Mekomot, aufgeführt werden sollen. Die Synagogen in Deutschland, Polen, Litauen und in der Ukraine haben die Feuerwut und den »Erlösungsantisemitismus« (Saul Friedländer) der Nationalsozialisten überlebt, sind aber ob der fehlenden Nutzer über die Jahrzehnte zweckentfremdet worden oder schlicht baufällig.

 

Nun wird dort kombiniert mit liturgischem jüdischem Gesang zeitgenössische Musik von Bnaya Halperin Kaddari, Eres Holz, Amit Gilutz, Amir Shpilman und Sarah Nemtsov zu hören sein. Eigentlich handelt es sich um ein Heimkommen von Musik und Kultus, doch bleibt bei der Rückführung ob des wiedererstarkten Antisemitismus und der offensichtlich jetzt schon einsetzenden Geschichtsvergessenheit ein »unheimliches« Gefühl. In Köln, im Konzertsaal des Deutschlandfunk, werden als einzigem Nicht-Mekomot-Ort ebenfalls alle fünf Kompositionen im Wechsel mit liturgischen Gesängen aufgeführt.

 

Festival: 7.–10.4., Forum Neuer Musik: »Jüdische Identitäten«, Veranstaltungsorte: Deutschlandfunk Kammermusiksaal und Foyer, Hochschule für Musik und Tanz, Kunst-Station St.Peter

 

StadtRevue präsentiert Konzert: Do 7.4., Mekomot, DLF Kammermusiksaal, 20.30 Uhr