Der innere Dialog

In ihrer Musik reflektiert Laurel Halo über Techno und Ambient

Manchmal spricht schon der Künstlername Bände. Hinter der Kombination der englischen Wörter für Lorbeer (Laurel) und Heiligenschein (Halo) musste ja eine spannende Künstlerin stecken. »Quarantine«, das 2012 veröffentlichte Debütalbum von Laurel Halo bestätigte den Eindruck nachdrücklich. Es sollte Laurel Anne Chartow, so der bürgerliche Name der 1986 geborenen Amerikanerin, schlagartig bekannt machen und sie ins Epizentrum des avantgardistischen Musikdiskurses führen. Denn zu erforschen und deuten gibt es einiges. »Quarantine« hört man die Neugierde und Verspieltheit seiner Produzentin bis heute an. Als Hörer wird man eingeschlossen in eine düstere Klangwelt, die, nicht zuletzt durch den eigenartigen Gesang, abgründig und voller Geheimnisse anmutete. Für den Nachfolger »Chance of Rain« (2013) entschied sich Laurel Halo aber zu schweigen, die Abwesenheit des Gesangs ging einher mit der Transformation ihrer Musik weg von der psychedelischen Verwischtheit ihres digitalen Folks hin zur klaren Ästhetik von Techno und Ambient.

 

Laurel Halo, die sich selbst als Einzelgängerin bezeichnet, und die weder zu Schulzeiten in Ann Arbor noch später in Detroit und New York je Teil einer Szene gewesen ist, lebt seit 2014 in Berlin. Hier fühlt sie sich erstmals in einem künstlerischen Umfeld aufgehoben. Ermöglicht hat ihr dies das Berlin Community Radio, bei dem sie seit drei Jahren monatlich eine eigene Sendung unterhält. »Die Shows sind für mich eine großartige Möglichkeit meine Einflüsse zu erforschen«, führt Laurel Halo bei einem Spaziergang durch ihre Wahlheimat aus. »Ich versuche jedesmal eine Story zu erzählen, es ist sozusagen ein Moodboard dessen, was mich gerade bewegt.«

 

Auf die Frage, ob sich die Radiosendung direkt auf ihr aktuelles Album »In Situ« ausgewirkt habe, antwortet sie verneinend, dazu sei es konzeptionell ganz klar im eigenen Recht. Im Abgang der Antwort ergänzt sie noch, dass es für sie als Musikerin generell darum gehen müsse, sich nicht von Genrekonventionen und Klanggewohnheiten beeinflussen zu lassen, sondern den Kopf frei zu behalten für die eigene Kreativität und ihre Intentionen. Sie findet ihre Inspiration im sozialen Austausch mit anderen, sei es im Club beim Tanzen, beim Filmeschauen und Plattenhören mit Freunden.

 

Wie nicht wenige andere, die heute elektronische Musik produzieren, ist Laurel Halo mit klassischer Musik aufgewachsen. Im Kindesalter lernte sie Klavier und Violine spielen. Techno trat erst 2003 mit dem Besuch des Detroit Electronic Music Festival in ihr Leben. Derartige Momente als direkte Einflussfaktoren auf ihre Produktionen zu interpretieren, davon will sie aber nichts wissen. Auf Interpretationsversuche, die in diese Richtung zielen, erwidert sie energisch: »Ich habe gelernt, alles zu verneinen, was ich damals gelernt habe.« Nun, in einer solchen Aussage steckt eine gewisse Koketterie — oder auch nicht. Denn zoomt man näher in Alltag und ihr Werk, so findet man zwischen den disziplinierten Routinen — »Ich stehe auf, koche Kaffee, setze mich ans Klavier und suche nach Ausgangspunkten für die Musik« — und den gerne genossenen Ausbrüchen aus diesen (Spaziergänge, Filmeschauen, Musikhören) vor allem eins: Selbstzweifel. Der Output von Laurel Halo — drei Alben in vier Jahren — mag objektiv nicht gering anmuten, gefühlt sei er das aber, merkt sie an und bezeichnet sich als »sehr langsam«.

 

Ihre Sehnsucht Musik herauszubringen, habe sie am Anfang ihrer Karriere dazu bewogen, die Sachen etwas zu schnell loszulassen. Nicht dass sie es bereuen würde, aber etwas mehr Nachdenklichkeit und Reifezeit haben gut getan: »Auf jeden Album sind zwischen einem und vier Stücken, die ich als solide bezeichnen würde, über den Rest lache ich — das sind für mich Lernübungen gewesen.« Als Musikerin müsse man sich immer vergegenwärtigen, dass es »vor einem eine lange Geschichte an Musik gibt, und dass es auch nach einem so weiter gehen wird«. Als Ablenkung bliebe einem nur, sich auf den »inneren Dialog zu konzentrieren«.

 

Dieser sorgt dafür, dass Laurel Halo mit »In Situ« wieder etwas verpeilter klingt im Vergleich zu »Chance of Rain«. Jedoch nicht verpeilt im psychedelischen Sinn ihres frühen digitalen Art-Folks, sondern eher in der Tradition der klassischen Warpschen Bleep-Sounds und von unaufdringlichen Jazz-Improvisationen. Es stottert und driftet allerorts, die Stimmung schwankt bei hohem Seegang. Schön zeigt sich dies bei einem Stück wie »Nebenwirkungen«, das genau so klingt, wie man das bei dem Titel vermutet: rätselhaft, angst­einflößend, nebelverhangen.

 

Angesprochen auf die Neujustierung ihres Sounds antwortet Halo: »Ich könnte sicherlich eine einfachere Karriere haben, wenn ich einen Song nach dem anderem schreiben würde. Das normale Publikum kann mit Songs einfach mehr anfangen als mit instrumenteller Musik. Aber ich kann nicht anders an meine Musik herangehen.«

 

»In Situ« ist dementsprechend kein einfaches Album für Laurel Halo. Die Stücke haben sich sehr langsam aus Liveversionen herausgeschält. Zwischenzeitlich musste sie die Arbeit für acht Monate unterbrechen, da sie in eine Sackgasse geraten war. »Man darf sich dann nicht scheuen, die Sachen wegzulegen«, führt sie aus. »Als ich die alten Ideen mit frischen Ohren und Augen wieder aufsuchte, ging alles ganz schnell.« Aktuell probiert sich Laurel Halo schon am nächsten Projekt. In Kooperation mit Darren Johnston, LaTurbo ­Avedon and Martin Sulzer generiert sie auf Einladung von Mari Matsutoya für das Club Transmediale Festival in Berlin eine Performance auf Basis der Musiksoftware ­Hatsune Miku.