Überlebenszeichen

Vier Jahre nach ihrer letzten Tour nehmen die Hardcore-

Heroen At The Drive-In wieder Kontakt auf

Ganz so triumphal wie beim letzten Mal klingt es noch nicht. »THIS STATION IS... NOW... OPERATIONAL« schrieben At The Drive-In im Januar 2012 ins Internet, in Großbuchstaben und mit bedeutungsschweren Pünktchen. Mit einem Mal sirrte es wieder. Elf Jahre war es da her, dass sich die Band vor Erschöpfung und Frust getrennt hatte, und noch bevor irgendwelche Details zur Reunion bekannt wurden, sorgte die Meldung für Aufregung in der Musikwelt. Eine der legendärsten Posthardcore-Bands sandte wieder Lebenszeichen. Und schickte sich an, damit vielleicht die eigene Legende zu zerstören.

 

Die Karten für die Reunion-Tour, um die es schließlich ging, verkauften sich trotzdem so gut wie die wieder aufgelegten Alben, weil alle noch mal dabei sein wollten: Die Punks und die Emos, die Progger und die Rocker, bei denen At The Drive-In mit ihrer Trennung eine Lücke hinterlassen hatten, die sich nun ein kleines Stückchen schließen ließ. Andere Bands hatten das seither nicht geschafft; niemand hatte so wütende und traurige, so widerspenstige, experimentelle und mitreißende Songs geschrieben. At The Drive-In waren die Nische, in der sich alle trafen. Als die Reunion nach ein paar Monaten vor jubelnden Fans und entzückten Kritikern wieder vorbei war, war das gut so. Besser als ein neues Album, das alles hätte kaputtmachen können. Auch wenn die Band selbst genau das gebraucht hätte: Er habe sich mit den alten Songs auf der Bühne überhaupt nicht wohlgefühlt, erklärte Gitarrist Omar Rodríguez-López, weil er längst nicht mehr der Mensch von damals sei. Deshalb wolle er sich nun lieber auf seine anderen Projekte konzentrieren und neue Musik schreiben. Mit At The Drive-In habe er ein für alle Mal abgeschlossen.

 

Von Anfang an wollten Rodríguez-López und Sänger Cedric Bixler-Zavala raus. Aus ihrer Haut, aus dem texanischen El Paso und die Schranken überwinden, zwischen denen Rock und Punk Mitte der 90er spielten. Schon ihr erstes Album »Acrobatic Tenement« ließ 1996 erahnen, was im Posthardcore möglich war, aber erst »In/Casino/Out« machte At The Drive-In zwei Jahre später zur wichtigsten Band eines Genres, das es so noch gar nicht gab. In elf live eingespielten Songs schoben sich wilde Riffs und Akkordfolgen über Stakkato-Rhythmen, zu denen sich Bixler-Zavala empört die Seele aus dem Leib schrie, wenn er nicht aus lauter Verzweiflung sang. Fast gerappte Strophen gingen in chaotischen Ausbrüchen auf; funkelnde Emo-Melodien trafen auf verzerrte Rock-Hektik. So sehr sich die Spezialisten einredeten, das Album seiner technischen Originalität wegen zu schätzen, so sehr waren sie in Wahrheit seinen Emotionen verfallen. »In/Casino/Out« handelte vom Entkommen, so wie das der Punk schon immer getan hatte, nur hatte es auch die Mittel dazu.

 

Während sich andere Bands noch im ewigen Kreis aus Geschepper und müden Metaphern drehten, brachen At The Drive-In wirklich aus. Man musste nicht verstehen, wovon genau die mit Anspielungen und merkwürdigen Begriffen vollgestopften Texte handelten, um zu begreifen, wie dringend es ihnen war. »Does it all make sense now«, fragte Bixler-Zavala etwa im melancholisch auf der Stelle marschierenden »Lopsided« zwischen Zeilen über den Wendekreis des Krebses und einen kaputten Spiegel auf einem gestrandeten Schiff, und tatsächlich ergab das alles Sinn: Man konnte noch feststecken und trotzdem schon andere er­-reichen, traurig sein und gleichzeitig klug.

 

Mit dem noch imposanter produzierten, musikalsich noch kompromissloseren »Relationship of Command« demonstrierten sie es 2000 auch dem Rock-Mainstream. Das Album gilt als Meilenstein und gehört bis heute zu denen, die Rockfans aller Sparten auch wirklich aus Flammen retten würden. Die aufgewühlte »Hymne One Armed Scissor« brüllenbis heute Indiekids im Schlaf mit: »This ­station is non-operational!« Und nach dem dritten Album war dann auch wirklich Funkstille.

 

Sie fühlten sich ausgelaugt und überfordert, erklärten die Bandmitglieder, als sie im Frühjahr 2001 alle anstehenden Touren absagten und sich auf unbestimmte Zeit zurückzogen. Bixler-Zavala und Rodríguez-López gründeten zusammen die futuristisch-progressiven The Mars Volta und später die rockigen Antemasque, Gitarrist Jim Ward spielte sich mit Sparta über die Alternative-Festivals, und neben diesen erfolgreichen Projekten gab es noch etliche andere. At The Drive-In versuchten wirklich, nicht mehr At The Drive-In sein zu müssen. Nach dem kurzen Einknicken 2012 schienen sie das auch zu schaffen. Bis es dann doch nicht mehr ging.

 

»World Tour, New Music 2016« schreiben sie im Januar in einem kurzen Video, ohne nähere Erklärung, ohne großen Triumph. At The Drive-In sind vorsichtiger geworden, weil immer mehr auf dem Spiel steht. Zwei Deutschlandkonzerte stehen an, auf denen die Band zeigen will, dass sie nicht hängengeblieben ist und 2016 immer noch so konsequent über sich und andere hinauswächst wie vor 15 Jahren. Aber auch das neue Album ist angekündigt, vor dem vor vier Jahren alle Angst hatten. Wie die neue Musik an die alte anschließen vermag, verraten sie noch nicht. Die bisherigen Alben gelten immer noch als wegweisend, für weitere gibt es wenig Unentdecktes zu erobern. At The Drive-In scheint vor allem wichtig, überhaupt wieder Kontakt nach draußen aufzunehmen. Eine rein nostalgische Reunion hat für sie nicht funktioniert. Die nächste blickt nach vorn.