»Der Topos Genie ist sehr männlich besetzt«

Das Filmerbe ist auch weiblich: Silke J. Räbiger, Leiterin des

Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund/Köln über

Pionierinnen, Kanonbildung und die Gefahr der Unsichtbarkeit

Innerhalb des Mexiko-Schwerpunkts zeigen Sie dieses Jahr auf dem Frauenfilmfestival unter anderem auch den ersten Film einer mexikanischen Regisseurin. Woher rührt das Interesse an dem Blick in die Filmhistorie? Wir machen in Köln alle zwei Jahre ein Länderprogramm und bemühen uns immer zu schauen, wo der Anfang ist: Wer war eine der ersten Frauen, die in diesem Land einen Film gemacht hat? Wenn es irgend möglich ist, nehmen wir einen solchen Film ins Programm. Wir haben schon diverse »Ausgrabungen« gemacht, zum Beispiel Filme von Alma Reville, der späteren Frau von Alfred Hitchcock. Sie war selbst Regisseurin und ursprünglich viel bekannter als Hitchcock.

 

Wann haben Frauen begonnen, Filme zu machen? Frauen sind von Anfang an ein integraler Bestandteil der Filmindustrie gewesen. Und zwar in allen Bereichen — auch in der Position der Regisseurin. Das gab es schon in der Stummfilmzeit: Pionierinnen wie Alice Guy, die erste Frau, die einen Spielfilm gemacht hat, und zwar bereits im Jahr 1896.

 

Wo finden Sie diese frühen Filme? Durch Recherche bei anderen Festivals und die Zusammenarbeit mit Filmhistorikern. Oder wir recherchieren in der Literatur und in den Archiven. Hier in Deutschland wissen zum Beispiel das Deutsche Filminstitut in Frankfurt, die Deutsche Kinemathek in Berlin oder das Münchner Filmmuseum gut Bescheid.

 

Welche Schwierigkeiten sehen Sie bei der Archivierung von Filmen? Archivierung ist eine extrem teure Angelegenheit und hier ist viel politischer Wille gefragt, diese Gelder auch zur Verfügung zu stellen. Deutschland nimmt da in Europa nicht gerade einen Spitzenplatz ein. Es gibt auch eine durchaus berechtigte Auseinandersetzung auf welchem Material archiviert werden soll, analog oder digital. Bei analogem Material wissen wir, dass es bei guter Lagerung an die hundert Jahre halten kann, beim digitalen Material haben wir noch keine Erfahrungen. Zur Zeit hat in Deutschland die Digitalisierung absoluten Vorrang. Uns als Frauenfilmfestival geht es aber vor allem darum, dass die Filme von Frauen unbedingt in die Archivierungskampagnen mit einbezogen werden, damit sie nicht zum wiederholten Mal in der Unsichtbarkeit verschwinden.

 

Wer entscheidet denn, was digitalisiert wird? Das ist eine gute Frage. Das läuft über große Institutionen, die wiederum Gremien einsetzen. Bei den Entscheidungsprozessen kommt es auch darauf an, wie die Gremien zusammengesetzt sind. Und es muss natürlich gutes Ausgangsmaterial vorhanden sein. Das wiederum hängt davon ab, wie sehr die Filmemacherinnen und Filmemacher darauf geachtet haben, dass ihre Filme erhalten bleiben. Insgesamt stehen wir vor dem Problem, dass viel zu wenig Geld da ist, um wirklich in der Breite Filme zu retten und zu archivieren.

 

Die Filmhistorie der Regiefrauen ist kaum sichtbar. Die Berlinale beispielsweise hat ihre Retrospektive noch nie einer Regisseurin gewidmet. Woran liegt das? Das kann ich nicht mit Sicherheit beantworten. Vermutlich liegt es an den bekannten Vorurteilen, dass Frauen keine guten Filme machen können. Man fragt sich natürlich, warum Agnès Varda noch nie eine Retrospektive bei der Berlinale gehabt hat. Sie ist die Protagonistin der Nouvelle Vague in Frankreich gewesen. Und ihre Filme sind zugänglich. Der Topos des Genies ist sehr männlich besetzt und es gibt für Frauen bis heute kaum eine Chance, das in irgendeiner Weise für sich zu reklamieren. Es scheint tief in unserer bürgerlichen Kultur verwurzelt zu sein, dass das Kreative und Schöpferische männlich geprägt ist, dass Kunst, die von Frauen kommt, nicht so genial ist wie die von Männern. Zum 100. Geburtstag des Kinos haben sich in Nordrhein-Westfalen Filmwissenschaftler zusammengetan und ein Buch herausgegeben: Hundert Filme in zehn Filmprogrammen. Und wie viele Frauen waren dabei? Zwei! Natürlich kam die Nouvelle Vague vor. Aber Agnès Varda eben nicht. Das ist doch irgendwie irre!

 

StadtRevue präsentiert

Di 19.4.–So 24.4., diverse Orte.
Infos: frauenfilmfestival.eu

 

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