Fluss ohne Wiederkehr

Expeditions-Film: Der Schamane

und die Schlange von Ciro Guerra

»Lustig, Bill, ich sah bloß Farben«, hat der Ethnobiologe Richard Evans Schultes einmal auf William S. Burroughs’ kosmische Deutungen eines LSD-Rauschs erwidert. Auch wenn der Harvard-Professor mit seinen am Amazonas entstandenen Studien über halluzinogene Drogen die metaphysischen Sehnsüchte der Gegenkultur befeuert hat, zog er sich (auch gegenüber den Schwurbeleien eines Timothy Leary) stets auf einen rationalen Standpunkt zurück. Viele der indigenen Kulturen, die er im Dschungel besucht hat, existieren heute nicht mehr. Seine Berichte bilden mitunter die einzige Grundlage für das, was wir heute über sie wissen.

 

Aber was heißt das? In welchem Verhältnis steht materiell geronnenes Wissen zu einer lebendigen, aus sich heraus erfahrenen Kultur? Es sind solche ganz grundsätzlichen Fragen, die Ciro Guerra in seinem hypnotisch schwarz-weißen Meisterwerk »Der Schamane und die Schlange« verhandelt. Dass der Film weder zum drögen Postcolonial-Studies-Seminar, noch zum Ethno-Kitsch des Arthouse-Weltkinos neigt, sondern souverän mit genuin filmischer Ästhetik arbeitet, ist nicht genug zu preisen: Filmkunst im besten Sinn.

 

»Der Schamane und die Schlange« ist angelehnt an die Expeditionen zweier manischer Wissenschaftler: Theodor Koch-Grünbergs Fahrt auf dem Amazonas im frühen 20. Jahrhundert und Schultes’ Expeditionen etwa 40 Jahre später. Beide reisen jeweils mit dem Schamanen Karamakate, dem letzten Überlebenden seines Stammes und damit dem letzten Träger seiner Kultur. Beiden geht es im Film um die Suche nach einer Pflanze mit mystischen Qualitäten.

 

Der Vergleich zu Joseph Conrads »Herz der Finsternis« liegt nahe, doch Guerra zielt auf Anderes: Nicht um die Fremderfahrung weißer Eindringlinge geht es, sondern um den umwälzenden Bruch, den das Auftreten der Weißen im Dschungel markiert. Als Zuschauer steht man im Laufe des Films zunehmend fremd vor der eigenen, westlichen Kultur und deren Selbstverständlichkeiten: Das missionarische Christentum etwa wird kenntlich als wahnwitzige Religion, deren Gewalttätigkeit sich im Grunde schon im Symbol des Kreuzes, einem Folterwerkzeug, zeigt. Auch die Versessenheit auf Objekte wirkt durch Karamakates Augen betrachtet zusehends fremd: Was sind Fotografien schon anderes als leblos-schale Papierbilder? Gänzlich undidaktisch, aber ästhetisch präzise erkundet Guerra solche Fragen.

 

Und Farben sieht man am Ende dieses meditativ entrückten Films tatsächlich auch. Groß!

 

 

Der Schamane und die Schlange
(El abrazzo de la serpiente)
COL/VEN/ARG 2015, R: Ciro Guerra,
D: Niblio Torres, Jan Bijvoet,
Antonio Bolivar, 124 Min. Start: 21.4.