Digital zersetztes Zelluloid

Film im Film im Film: The Forbidden

Room von Guy Maddin

Als einer U-Boot-Crew der Sauerstoff ausgeht, essen sie Pfannkuchen, um von deren Luftblasen zu zehren. Als sich ein Abenteurer in den Geheimbund der »Roten Wölfe« einschleichen will, gehört zum Beitrittsritual auch die Disziplin des Innereien-Stapelns. Und als Udo Kier mit seiner Besessenheit von weiblichen Hintern so gar nicht mehr klarkommt, lässt er sich ins Hirn bohren. Da wird auch der Zug-Psychiater im Deutsch-Kolumbianischen Express nicht helfen können. Guy Maddins »The Forbidden Room« ist eine überfordernde Wucherung aus für sich genommen schon wahnwitzigen Erzählfragmenten, die er solange ineinander verschachtelt, bis alles im Sande verläuft. Getaucht ist diese Collage in rot- und grünstichige Bilder, die der Ästhetik früher Technicolor-Verfahren nachempfunden sind.

 

Maddins eigenwillige filmische Formen verdanken sich stets einer unbändigen Faszination für das frühe Kino und seine Affekte — für Überblendungen und Rückprojektionen, für expressives Schau- und Schattenspiel, für die Poesie der Zwischentitel. Begab er sich in seinen letzten Schwarzweiß-Filmen damit noch auf assoziative Erkundungen in die eigene Biografie, liegt seinem neuesten Werk nun auch inhaltlich die Welt des Kinos zugrunde: Für »The Forbidden Room« haben sich Maddin und Ko-Regisseur Evan Johnson der Re-imagination verschollener Filme gewidmet, ausgehend von einem Gerücht, einem Titel oder einer knappen Inhaltsangabe. 

 

Nicht nur mit den Farben begibt sich Maddin dabei auf neues Terrain: »The Forbidden Room« ist nicht mehr auf 8mm-Material, sondern komplett digital gedreht worden. Die fabulierten Filme sind damit in erster Linie Werke der Postproduktion: Nicht nur die fiebrige Montage, die den visuellen Trip erst in Gang bringt, auch die Retro-Farbfilter und die Nachahmung chemischer Zelluloid-Zersetzung sind am Computer entstanden.

 

Mit einer Dauer von über zwei Stunden unter weitgehendem Verzicht auf jedwede strukturierende Erdung stellt »The Forbidden Room« durchaus eine Herausforderung dar. Wer diese annimmt, wird aber mit einer grandios singulären Kinoerfahrung belohnt: Irgendwann meint man tatsächlich, sich in einem verbotenen Zimmer zu befinden, in dem das Kino selbst deliriert und gegen sein eigenes Vergessen ankämpft. Dann pochen die Geister verlorener Filme auf ihr Recht und brechen ungefragt in die Erzählung anderer Filme hinein. Auf Rhythmus und Kohärenz des Gesamtwerks können sie dabei natürlich kaum Rücksicht nehmen. 

 

The Forbidden Room (dto) CDN 2015,
R: Guy Maddin, Evan Johnson,
D: Roy Dupuis, Mathieu Amalric,
Charlotte Rampling, 130 Min. Start: 7.4.