Requiem für einen Rattenterrier

Doku-Essay: Heart of a Dog

von Laurie Anderson

Viele aktuelle Dokumentarfilme sind motiviert von persönlichen Umbrüchen im Leben ihrer Macherinnen und Macher. Die erste Vaterschaft ist so ein Moment, gerade bei jungen Männern. Andere Auslöser sind Krankheiten oder Trennungen. Auch Laurie Andersons erste lange Filmarbeit seit dem Konzertfilm »Home of the Brave« 1986 ist solch einem Abschied geschuldet. Der Film überrascht aber damit, dass das betrauerte Wesen ausgerechnet ein kleiner Rat Terrier namens Lolabelle ist. Dem dichtet eine weibliche Off-Stimme dann auch noch eine Geburt per Kaiserschnitt aus dem eigenen Bauch an.

 

Guter Einstieg in einen auch sonst grenzgängerischen Film. Denn das in die ewigen Jagdgründe eingegangene schwarzweiß-gescheckte Hündchen mit spitzer Schnauze und großen Augen und Ohren legt, analog zur Karriere der multitalentierten Performancekünstlerin selbst, in einigen Home-Movie-Ausschnitten auch beachtliche künstlerische Talente im Pfoten-Action-Painting und in der Keybord-Improvisation an den Tag. Dazu gibt es selbstgedrehte Filmbilder vom New Yorker Hunde-leben aus der Terrier-Perspektive.

 

Diese Szenen sind Teil einer kunstvoll verwobenen und künstlerisch aufwendig bearbeiteten Montage aus Reiseimpressionen, verwischten Familienfotos und Überwachungsbildern, an der sich die oft im Flüsterton raunende Off-Stimme assoziierend entlanghangelt. Außer um Hunde geht es um die Bedrohung durch Flugzeuge, Drohnen und Raubvögel, das tibetanische Totenbuch und Wittgenstein. Dabei wechseln sich lakonisch-witzige mit lyrischen und pathetischen Passagen ab und Brillantes mit Banalitäten, die aus einem buddhistischen Lebensratgeber stammen könnten.

 

Die impressionistische Meditation kreist in zunächst weiten, dann immer engeren Spiralen um die Motive Tod und Vergänglichkeit, und zeigt in der Auseinandersetzung mit der ebenfalls verstorbenen Mutter und Kindheitserinnerungen noch einmal neue Akzente auf. Und dann kommt ganz zum Schluss doch noch er ins Spiel: Andersons 2013 verstorbener Ehemann und künstlerischer Gefährte  Lou Reed, der mit ein paar melancholischen Strandbildern, dem Song »Turning Time Around« und einer Widmung gewürdigt wird. So erweist sich die Elegie auf ein Hündchen nicht ganz überraschend auch als tastender Versuch, in der Verschiebung eine künstlerische Form für eine andere, viel schwierigere Abschiedsklage zu finden. Vom Ende her betrachtet stellt sich der Film also noch einmal ganz neu dar. Wir werden die Bekanntschaft mit Lolabelle dennoch in besonders dankbarer Erinnerung behalten.

 

Heart of a Dog (dto) F/USA 2015, 

R: Laurie Anderson, 75 Min. Start: 24.3.