Vergessene Grüße

Heim & Welt

 

Wir leben im Zeitalter der Delegation. Wir bestellen alles: Bücher, Pizza, Einbauküchen. Und niemand wäre da, der sich schämte, andere zu beauftragen, diesen Plunder herumzutragen. Nur eines bestellt man nicht mehr: schöne Grüße. Obwohl es doch so leicht wäre. Niemand, den wir damit beauftragten, müsste für schlechten Lohn schwere Pakete die Treppenhäuser hinauftragen. Ich glaube, dass viele Menschen aber schlechte Erfahrungen mit dem Grüße-Lieferservice gemacht haben. Der schöne Gruß wird gar nicht oder nur unzureichend ausgeliefert. Die Boten vergessen die Botschaft, sie verschlampen sie zwischen all ihrem Gelaber, das ist die Wahrheit. Und das ist schade. Denn einen Gruß übermitteln zu lassen, ist doch sehr vornehm: Durch den Boten und die zeitliche Verzögerung vermindert sich die Dringlichkeit, also demnach auch: die Aufdringlichkeit. 

 

Man stelle sich hingegen vor, jemand schellte an unserer Tür und sagte bloß »Schöne Grüße!«, worauf dieser Mensch sich sogleich verabschiedete und wieder ginge — dann würden wir uns wohl wundern. Aber warum eigentlich? Wenn sich der geplagte Paketzusteller mit uns nach Übergabe der Bestellung noch länger über Reiseliteratur oder Tischstaubsauger unterhalten wollte, dann fühlten wir uns schließlich bedrängt.

 

Wenn wir also Grüße übermitteln lassen, so ist das eine kultivierte Weise, jemandem zu zeigen, dass er unserer Aufmerksamkeit versichert sein darf. Im direkten Kontakt hingegen lässt sich so viel Diskretion nur jenseits der Sprache wahren: durch einen stummen Blick oder ein bloß angedeutetes Kopfnicken. Grob wäre es hier, sich unter einem Vorwand zu nähern, so wie Tobse Bongartz, der mit seinem kessen »Na du? Auch hier auf der Fête?« schon den Abend vieler, vornehmlich weiblicher Gaste beträchtlich ruiniert hat.

 

»Ich traf neulich übrigens Sarah Kardamon« — »Ach, was? Die Sarah Kardamon mit N hinten?« — »Ja, ja, ich traf sie, als sie Reklamezettel für veganes Atmen bei Trinkhalle Hirmsel auslegte, so wie jeden Donnerstag nach dem Urban Gardening...« Und schon befinden wir uns in einem anregenden Gespräch über die Zeitläufte und erhalten Gelegenheit, schöne Grüße zu bestellen. Umso mehr geraten wir jedoch dann in Verlegenheit, wenn wir von unserem Boten bei nächster Gelegenheit keinen Gruß retour erhalten. Stieß unser Gruß auf Gleichgültigkeit? Blieb er sogar unbeantwortet, weil er als Anbiederung aufgefasst wurde? Ja, dürfen wir dem anderen einen Affront unterstellen? Was bildet Sarah Kardamon mit N hinten sich ein? Ist ihr Verstand Opfer einer modischen Atemtechnik geworden? Oder hat der Bote nur alles vergessen? Man möchte es wissen und machte sich doch lächerlich, wenn man fragte (»Eh, sachma: Willste was von der?«).

 

Schöne Grüße sind nur schön ohne Hintergedanken. Es gehört sich nicht, Grüße als Vorwand für etwas anderes ausrichten zu lassen. Das ist nur unter Ganoven üblich: »Schönen Gruß an Panzerknacker-Ede. Und sag ihm, dass ich noch auf meinen Zaster warte.« Wer so was übermittelt bekommt, schwebt in Lebensgefahr! Aber auch für den Boten wird es brenzlig. Es nützt ihm nichts, dass er ja gar nichts kann für die Worte, die man ihm auftrug — je nach Temperament des derart von ihm Gegrüßten wird er sich bald mit einbetonierten Füßen auf dem Grund eines namenlosen Binnengewässers wiederfinden.

 

Es soll sogar Menschen geben, die aufgetragene Grüße erfinden! Manch einer tut das, um leichter das schwierige Entrée einer Plauderei zu meistern. Andere aber führen Böses im Schilde! Sie scheren sich noch nicht mal darum, dass ihr Schwindel offensichtlich ist. Dann höre ich von Gesine Stabroth, nachdem sie mich gemustert hat: »Übrigens schöne Grüße von den 80er Jahren, sie hätten gern ihren Anorak zurück.«