»Ich will kein Teil davon sein!«

Jessy Lanza antwortet auf den Erfolg ihres Debütalbums »Pull My Hair Back« mit einem überraschenden »Oh No«

»Ich habe mich auf den Kölner Dom gefreut«, eröffnet Jessy Lanza unser Gespräch und kippt den Kopf bekümmert nach unten. Denn leider geht es sich für die 31jährige Kanadierin mal wieder nicht aus mit dem Sightseeing auf Tour, da auch in Köln Aufbau, Interview und das Konzert eng getaktet sind. »Wenn man die Liste mit all den tollen Städten im Vorfeld der Tour in die Hand bekommt, dann klingt das alles so viel besser als im wirklichen Leben«, führt sie aus. »Meistens ist man dann jedoch nur acht Stunden in den Städten.«
Aber am Vorabend sei sie mit ihrer Tourschlagzeugerin immerhin für 45 Minuten durch Amsterdam spaziert. 

 

Wir haben uns zum Gespräch um die Ecke vom Gewölbe, wo sie später am Abend vor den Junior Boys auftreten wird, in den Stadtgarten gesetzt. Die Sonne meint es gut mit uns und schenkt uns die ersten Frühlingsstrahlen — und schon fühlt sich Lenza gar nicht so gestresst vom Leben. 

 

Die Karriere zur Musikerin ist Jessy Lanza in die Wiege gelegt worden. Noch bevor sie selbst etwas von ihrem Talent ahnen konnte, beweget ihr Vater sie zum Klavierunterricht. Die Eltern von Lanza unterhielten als ambitionierte Hobbymusiker in den 70er und 80er Jahren eine Coverband und spielten sich in Kneipen durch den Katalog von zunächst Crosby Stills and Nash und später den Eurythmics. Das habe sogar gutes Geld eingebracht, erzählt sie, bis irgendwann die DJs die Bands in den Bars verdrängt hätten. Das sei aber nicht schlimm gewesen, da für ihren Vater die Musik immer an zweiter Stelle gestanden habe, für den gefüllten Kühlschrank im Hause Lanza sorgte seine Haupt-existenz als Lehrer. 

 

Angesprochen auf die ökonomische Seite des freien Musikerlebens spricht Jessy Lanza zwar von »Unvorhersehbarkeit«, »Zufall« und »unsteten Geldflüssen«, Anlass zum Klagen besteht jedoch in ihrem Fall nicht. Die Risikobereitschaft, mit der sie 2013 kurz vor der Veröffent-lichung ihres Debütalbums »Pull My Hair Back« ihre zwei Jobs als Bedienung und Klavierlehrerin aufgegeben hat, um sich ganz auf das Touren zu konzentrieren, sie wurde mehr als belohnt. Die Platte erntete nicht nur weltweit in den Medien positive Rezensionen, sie verkaufte sich auch gegen alle Branchentrends sehr gut. »Ich hatte im Vorfeld keine Ahnung, mit was ich rechnen könne«, erinnert sich Lanza. »Es war eine große Überraschung, dass es so gut lief. Musik war bis dato für mich ein Hobby, die einzige Sache, die mir immer half mich besser zu fühlen.« Der Erfolg sei aber nicht nur positiv zu sehen, führt sie kokettierend aus. »Wenn man zu Unsicherheit und Ängsten neigt, ist eine Karriere in der Musik wirklich die dümmste von allen Entscheidungen.« Deswegen auch »Oh No« als Titel des neuen Albums.

 

Da man ein erfolgreiches Set-up nicht so schnell wechseln soll, hat Jessy Lanza »Oh No« wieder mit ihrem Partner Jeremy Greenspan in ihrem kanadischen Heimatstädten Hamilton aufgenommen. Ganz unspektakulär: »Wir gingen jeden Tag in unsere Studios und nach einem Jahr war das Album fertig — ich wünschte, ich hätte eine spannendere Antwort.« Einen Unterschied gab es allerdings: David Psutka, der unter dem Alias Egyptrixx veröffentlicht, hat ihnen diesmal beim finalen Mix geholfen. 

 

Wie der Vorgänger erscheint auch »Oh No« auf Hyperdub, dem in London ansässigen Label von Steve Goodman (aka Kode9). Aber selbst dieses Epizentrum des Zeitgeists elektronischer Musik, auf dem neben ihr unter anderem noch so angesagte Produzentinnen wie Burial, Fatima Al Qadiri, Laurel Halo, Hype Williams oder Zomby veröffentlichen, sei ohne Einfluss auf ihren Sound geblieben, betont Lanza. Sie habe zwar mit Sara Abdel-Hamid (aka Itonika) zwischen den Alben ein bisschen rumexperimentiert und mit Morgen Geist als The Galleria eine Maxi veröffentlicht, aber das habe letztlich doch nur das gestützt, was sowieso schon die Arbeit von Greenspan und ihr auszeichnen würde: Popmusik mit elektronischen Einschlag. 

 

Dieses glaubhaft vermittelte Desinteresse am kulturellen Netzwerk zwischen den großen Metropolen dieser Welt ist auch der Grund, warum Lanza und Greenspan noch immer im verschlafenen Hamilton leben. »Ich bevorzuge es von Außen auf die Entwicklungen zu blicken, ich will kein Teil davon sein!« Selbst die die Alben so kennzeichnende Manipulation ihrer Stimme, was man durchaus als Zeitgeistphänomen lesen könnte, ordnet Lanza als Zeichen ihrer steten Unsicherheit ein. »Ich empfand meine Stimme immer als zu langweilig. Ich bin klassisch trainiert worden, lernte Jazz-Gesang, Standards und Disney-Songs. Das Experimentieren mit der Stimme war ein Weg für mich, in eigene Produktion reinzukommen, da ich mich eben nicht mit dem perfekten Gesang aufhalten musste, son-dern den mich interessierenden Texturen folgen konnte.« Für diesen Prozess seien Funk- und HipHop-Platten und die in diesen Genres kultivierte Tradition des Pitchens, des Beschleunigens und Verlang-samens von Samples wichtig gewesen.

 

Gefragt, ob sie sich mittlerweile als routiniert in ihrer Rolle als Produzentin empfinde, schüttelt Jessy Lanza zum Ende unseres Gesprächs den Kopf. Sie betont, dass für sie ein großer Reiz darin liegt, nicht zu wissen, was sie tue. »Das gibt der eigenen Musik etwas Geheimnisvolles. Ich bin noch immer naiv, ich weiß noch nicht genug.« 

 

Tonträger: »Oh No« erscheint am 13.5. auf Hyperdub (Cargo Records)