Friede den Straßen, Krieg den Worten

Rubble Kings heißt der Soundtrack zur HipHop-Revolution, die vor 45 Jahren in der Bronx begann

Noch bevor DJ Kool Herc mit seinen Plattenspielern die ersten Breakbeats produzierte und Afrika Bambaataa die Zulu Nation gründete, legte wohl ein mittlerweile fast vergessenes Ereignis das Fundament für eine der innovativsten Kulturbewegungen unserer Gegenwart. Als sich im Dezember 1971 in der New Yorker Bronx die Anführer der berüchtigtsten Gangs der Stadt zum »Hoe Avenue Peace Meeting« versammelten, um dem gewaltsamen Gangtreiben ein Ende zu bereiten, setzten sie unwissend eine Revolution in Bewegung, die die Musiklandschaft entscheidend beeinflusste. Statt Straßenkämpfe organisierte man erstmals Jam Sessions und Block Partys und schauf damit der späteren HipHop-Kultur ihren Nährboden. Vor allem aber waren es Gangmitglieder, die in den New Yorker Straßenruinen nach Alternativen suchten und inmitten der zerfallenden Stadt zu Vorbildern einer hoffungslosen Generation aufstiegen. »Rubble Kings« heißt der aktuelle Film von Regisseur Shan Nicholson (2015), der die Entstehung dieser einmaligen Jugendbewegung aus dem Gang-leben der New Yorker Ghettos dokumentiert. Der dieses Jahr erschienene Soundtrack leistet die musikalisierte Geschichtsschreibung dieser Ereignisse.

 

Auf dem Höhepunkt der New Yorker Straßenschlachten war es vor allem eine Gruppierung, die politische Ambitionen hegte und versuchte, der Brutalität der Gangs mit einem Friedensappell entgegenzuwirken: die Ghetto Brothers. »Can you dig it?«, heißt es gleich zu Beginn des 70er-Jahre-Kultfilms »The Warriors«, als Cyrus, Anführer der einflussreichsten Straßengang New Yorks, die kriminellen Banden der Stadt zur Waffenruhe aufruft. Doch die Mission scheitert, Cyrus wird ermordet und Straßenkriege entfachen erneut. Auch in der Realität stirbt der Friedensstifter einen Märtyrertod. Am 2. Dezember 1971 wird Cornell Benjamin aka »Black Benjy«, damaliger Friedensbe-auftragter der Ghetto Brothers, beim Versuch einen Straßenkampf zwischen zwei rivalisierenden Gangs zu schlichten, ermordet. Anders als im Kultfilm »The Warrios«, rufen die Ghetto Brothers allerdings nicht zum Krieg, sondern zum Waffenstillstand auf. Das besagte Friedenstreffen im Boys Club an der Hoe Avenue avancierte zum größten Friedensabkommen in der Geschichte der Bronx, dem alle anwesenden Gangleader zustimmten.

 

Nicholsons Dokumentarfilm fokussiert diesen historischen Moment in der New Yorker Geschichte. Zusammengestellt aus raren Filmaufnahmen dieser Zeit, Comicanimationen und aktuellen Interviews, lässt der Regisseur in einer inhaltlich leider etwas zu kurz geratenen und chronologisch teilweise wirren Stunde Zeitzeugen über Genese und Auswirkungen des Friedenstreffens berichten. Zu Wort kommen die ehemaligen Gangleader der Ghetto Brothers, Benjamin Melendez und Carlos Suarez, sowie Mitglieder weiterer Gangs, Soziologen, aber auch HipHop-Pioniere wie Herc oder Bambaataa. Viele der damaligen Gangzugehörigen bewunderten die Ghetto Brothers heimlich für ihren Mut, sich den Regeln der Straße zu widersetzen und statt Rivalität Gemeinschaft zu stiften. »Rubble Kings« zeigt, wie die Innovatoren der Gangkultur Musik als Sprachrohr nutzten, um negative Energien der Straße in positive Aktivitäten zu transformieren. Mit dem Friedensabkommen verschoben sich die Straßenkämpfe auf die Tanzflächen und hinter die Mikrofone, aus den gesetzlosen Gangs der Stadt formten sich die ersten DJ-Crews.

 

Den musikalischen Nachtrag zum Film liefert der erst kürzlich veröffentlichte Soundtrack. Aus Budgetgründen schaffte es leider nur einer der dreizehn Songs in den finalen Schnitt der Dokumentation, alle anderen Lieder debütieren auf dem von Little Shalimar produzierten Mixtape. Mit integrierten Tonaufnahmen aus dem Film, 70er-Jahre-inspirierten Beats sowie einer narrativen Songstruktur, ist das musikalische Werk eine politisch aufgeladene Reise durch die Geschichte der South Bronx. Interpreten wie Ghostface Killah, Ka, eXquire oder Killer Mike mit seinem HipHop-Kollektiv Run The Jewels, für die Little Shalimar bereits das Debütalbum produzierte, haben sich von der Stimmung des Films und der damaligen Gangkultur inspirieren lassen. Entstanden ist ein konzeptuelles Album, das mit einer Mischung aus instrumentellen Tracks und klassischen Rap-Songs den Weg aus den Straßenschlachten (»War«), über eine friedliche Revolution (»The Revolution Might Be Televised«), zur Wiege der HipHop-Kultur -(»Partytime«) und deren Einnahme durch den Mainstream (»Gentrifi-cation Boogie«) portraitiert.

 

Doch bei aller Vorliebe für Inhalte, liegt die Stärke des Albums in seinen instrumentellen Kompositionen. Auch hier bedient sich Shalimar einer Chronologie, die beim Soul und Funk der afroamerikanischen Freiheitskämpfer beginnt und sich vom Salsa und Boogalooo ihrer lateinamerikanischen Nachbarn zum psychodelischen Rock der weißen Gang-milieus vorarbeitet. Nicht nur Shalimars lebhaften Boogie-Woogie-Rhythmen in »Bouncy 3« oder die synthetisierte Hookline in »Same Damn Thang« stechen heraus, vor allem liefert das »Rubble Kings Theme« eine perfekte Hymne für die Innovatoren der New Yorker Ghettos, für die sich Dynamite und Killer Mike mit starken Textversen übertrumpfen. Der selbsterklärende Song »Phoenix« lässt den Hörer am Ende in hoffnungsvoller Stimmung zurück und korrespondiert mit der Botschaft des Films: Wegbereiter (»Kings«) werden meistens aus dem Ruin (»Rubble«) geboren. Oder wie es Benjamin Melendez im posthum veröffentlichten Album der Ghetto Brothers besingt: »Let’s get together. And make it better. You understand what it’s all about?«

 

Tonträger: »Rubble Kings« (Mass Appeal/Groove Attack), ist bereits erschienen