Verlorene Generation

Das 3. Iranische Filmfestival beleuchtet die Konflikte im Land

Ein Spaziergang durchs abendliche Teheran: Voller Konzentration hantiert ein Mädchen im roten Kleid mit einem pinken Luftballon, während Samira gemächlich Treppen emporsteigt. Wenige Schritte weiter überquert die junge Frau ihren Gedanken nachhängend eine Straße und wird mit voller Wucht von einem Auto angefahren. In einer großen Rückblende erzählt Abdolreza Kahanis neunter Langfilm »Absolute Rest« die Geschichte Samiras bis zu diesem Punkt: vom Zerwürfnis mit ihrem Mann Hamed, der beständig an allem scheitert, von Samiras Versuchen, sich ein eigenes Leben aufzubauen.

 

Über kaum ein Land gibt es so feste Vorstellungen wie über den Iran. Auf Festivals im Ausland werden vor allem Filme eingeladen, die diese Vorstellungen unterlaufen — kritische Werke, die von der Zensur nicht zugelassen wurden oder die in der anspruchsvollen filmästhetischen Tradition von Abbas Kiaros-tami stehen. Das Iranische Filmfestival Köln zeigt, was dort noch an Filmen gedreht wird: Mainstream-, Dokumentarfilme sowie die ersten Versuche einer neuen Generation von Filmemachern.

 

Mostafa Kiais »Barcode« ist einer der erfolgreicheren iranischen Actionfilme jüngerer Zeit. Rokhsareh Ghaemmaghamis Dokumentarfilm »Sonita« handelt von einer jungen Afghanin, die -illegal in Teheran lebt und an einer Karriere als Musikerin feilt, während ihre Familie sie am liebsten als Braut verkaufen würde. Filmemacher wie Abdolreza Kahani oder der Dokumentarfilmer Mehrdad Oskouei — von dem mit »Starless Night« und »The Last Days of Winter« gleich zwei Filme zu sehen sind — sind in der iranischen Kulturszene bereits etabliert. Einige der aufregendsten Filme des Fes-tivals stammen aber von Filme-machern, die Mitte dreißig oder jünger sind.

 

Neben Ghaemmaghami trifft das auch auf Abbas Amini und Reza Dormishian zu. In Dormishians »I’m not Angry« hat der Protagonist Navid nach den Protesten 2009 seinen Studienplatz an der Universität von Teheran verloren. Seitdem versucht er wieder Fuß zu fassen und seine Wutanfälle und Aggres-sionsausbrüche in den Griff zu bekommen. Als sein Chef ihn in einem Streit herablassend behandelt und wegen seiner Beruhigungstabletten als Junkie verspottet, reißt Navid der Geduldsfaden. Er schlägt auf ihn ein und verliert in der Folge seinen Job in einer Textilfabrik. Seit den Protesten sind Navid und seine ehemalige Kommilitonin Setareh verlobt. Als vier Jahre später noch immer keine Besserung von Navids Situation in Sicht ist, bittet Setarehs Vater, die Verlobung zu lösen.

 

Dormishians Film zeigt einen deprimierender Blick auf eine ira-nische Jugend, die von den Protesten endgültig aus der Bahn geworfen wurde. »I’m Not Angry« ist benannt nach der Selbstbeschwörung, die Navids Arzt ihm zusammen mit den Tabletten gegen seine Wutausbrüche auf den Weg gibt. Als Navid ihm er-zählt, dass die Medikamente nicht wirken, verschreibt dieser ein stärke-res Mittel und rät ihm, sich in Zu-kunft zusätzlich mit dem Satz »I’m happy« fröhlich zu machen. Eine Jugend sediert von Beruhigungsmitteln und Selbst-beschwörungen.

 

Reza Dormishians aktueller Film »Lantouri« spitzt den Konflikt zwischen Bevölkerung und Regime weiter zu. Er beginnt mit einer Reihe fiktionaler Interviews über Ereignisse, die erst in der Folge gezeigt werden: Eine Gruppe Kleinkrimineller raubt in Teheran Oberschichts-Bubis aus, um etwas vom Reichtum von deren Vätern abzubekommen. Die erste Hälfte von »Lantouri« widmet sich dem großen sozialen Gefälle im heutigen Iran. Etwa in der Mitte nimmt der Film eine entscheiden-de Wende, als sich eines der Mitglieder der Bande in eine Frau verliebt, diese seine Gefühle aber nicht erwidert. »Lantouri« und »I’m Not Angry« bringen in einer Mischung aus dokumentarischen und fiktionalen Formen und teilweise verstörenden Bildern Konflikte der iranischen Gesellschaft auf die Leinwand. Umso erstaunlicher ist, dass sie auf dem Fajr Festival in Teheran, dem wichtigsten Filmevent des Landes, gezeigt wurden — auch wenn »I’m Not Angry« schließlich aus dem Wett-bewerb ausgeschlossen wurde.

 

Auch Mani Haghighi mischt in seinem in den 60er Jahren spielenden Film »A Dragon Arrives«, der im Wettbewerb der diesjährigen Ber-linale lief, fiktionale und dokumentarische Elemente — wenn auch mit gänzlich anderem Ergebnis als -Dormishian. Hauptdarsteller von »A Dragon Arrives« ist ein knallgelber Chevrolet Impala. Die surreale Geschichte um übernatürliche Ereignisse, Geheimdienstaktivitäten und verschwundene Personen ist durchzogen von einer Mischung aus Hippie- und Hipsterästhetik. Allein schon durch den Kontrast zwischen dem Chevrolet und den heutigen rostigen Ford-Pickups aus »Absolute Rest« bekommt die Zeit vor der Islamisierung des Iran in Haghighis Film etwas Utopisches.

 

Do 26.–So 29.5. Filmforum im Museum Ludwig. Zahlreiche Regisseure werden anwesend sein. 

Infos: iranian-filmfestival.com