Fragmente einer Erinnerung

Vom Kunstfilm zur Filmkunst: Remainder von Omer Fast

Nur schemenhaft erinnert sich Tom an sein Leben vor dem mysteriösen Unfall und sein anschließendes Koma. Für die Welt um ihn herum scheint das kein Problem zu sein; über seinen Anwalt wird ihm von den Verursachern des Unfalls sogar eine hohe Millionensumme angeboten, damit er die ganze Sache vergisst. Doch zu vergessen fällt Tom immer schwerer: Fragmente aus der Vergangenheit erscheinen plötzlich vor seinem geistigen Auge, und weil Geld in seinem neuen Leben keine Rolle mehr spielt, leistet Tom sich den Luxus,  diese Fragmente möglichst originalgetreu nach­zustellen — in der Hoffnung darauf, dass dies weitere Erinnerungen auslöse.

 

»Remainder«, der erste Langspielfilm des israelischen Videokünstlers Omer Fast, ist eine Adaption von Tom McCarthys gleich­namigem Debütroman. In dem Psychogramm eines Déjà-vu-Ge­plag­ten hat Omer Fast auch ein Thema auch seiner Videokunst wiedergefunden: die ambivalente Kraft eines — über die Erinnerung oder über die Kunst — vermittelten Zugriffs auf die Realität, der eine eigene Realität erschafft. Im Pro­tagonisten Tom, der nach Reen­actments süchtig wird, verdoppelt sich so die Figur des Filmre­gisseurs, der bei seiner Wahrheitssuche dem Realen so nah wie möglich kommen will und dafür Schauspieler herumkommandiert und ein überdimensioniertes Set erbauen lässt. Dass dieses Spiel mit der Wirklichkeit gefährlich ist, macht »Remainder« spätestens im letzten Drittel deutlich.

 

Visuell nutzt Fast jene filmsprachlichen Konventionen, die sich für die Darstellung der Wahrnehmung labiler Psychen herausgebildet haben: jede Menge Unschärfen, gleißendes Licht als Background, Ecken und Kanten und Glasflächen, die den Blick versperren oder ihn zumindest verunsichern. Wird diese Sicht des Protagonisten verlassen, mehren sich die Indizien, dass Tom Opfer einer großen Verschwörung ist. Mit dieser unheimlichen Gemengelage von wirrer Innenwelt und bedrohlicher Außenwelt betritt Fast das Gebiet eines Christopher Nolan. Aber er lässt seinen Film zu keiner Zeit eskalieren, er versucht gar nicht erst, die Konzepthaftigkeit des Ganzen zu verschleiern.

 

So kommt »Remainder« trotz des Überbaus vor allem als narrative Fingerübung daher. Nach dem ebenso überraschenden wie kon­sequenten Schluss denkt man weniger über Erinnerungspolitik oder die Möglichkeiten künstlerischer Welterschließung nach als vielmehr über die eigentlich unmögliche Erzählstruktur des Films, die fast schon zu laut nach einer zweiten Sichtung schreit.

 

Remainder (dto) GB/D 2015, R: Omer Fast, D: Tom Sturridge, Cush Jumbo,
Ed Speleers, 97 Min. Start: 12.5.