Exil in Petrópolis: Josef Hader als Stefan Zweig

»Leben hat keine Dramaturgie«

Biopic eines überzeugten Europäers: Schauspielerin Maria Schrader über ihre Regiearbeit »Vor der Morgenröte«, Stefan Zweig und die Flüchtlingskrise

Frau Schrader, die Liste deutschsprachiger Schriftsteller, die während des Nationalsozialismus ins Exil gehen mussten, ist — wie der Film zeigt — sehr lang. Warum war das Schicksal Stefan Zweigs für Sie besonders interessant?

 

Wenn man Stefan Zweig etwa mit Thomas Mann vergleicht, ist Zweig den Kräften des Exils radikaler und schutzloser ausgesetzt. Im Unterschied zu Mann war er Jude und die Angst vor Verfolgung und Auslieferung ständiger Begleiter. Zweigs Leben in den Exiljahren vereint enorme Gegensätze: Er wird in Brasilien wie ein Staatsmann empfangen, während er im deutschsprachigen Raum nicht mehr publizieren darf und sein Haus in Österreich von Plünderungen bedroht ist. Er hält Vorträge in Nord- und Südamerika und weigert sich als radikaler Pazifist, seine Sprache zum Angriff zu benutzen und Hitler-Deutschland zu bekämpfen. Er nimmt damit das Risiko politischer Vereinsamung in Kauf, gleichzeitig setzt er wie kein zweiter seine Verbindungen und sein Vermögen ein, anderen die Flucht aus Europa zu ermöglichen. Die Fantasie, die Empathie, die ihn als Schriftsteller auszeichnet, wurde ihm als Person zum Verhängnis. 

 

 

Manchmal erscheint Zweig auch als Visionär, wenn man seine Utopie von einem vereinten Europa ohne Grenzen betrachtet.

 

Im Grunde hat er dieser Idee auch große Teile seines Werkes gewidmet. Mit dem Insel-Verlag versuchte er eine europäische Bibliothek in allen Sprachen aufzubauen, in seinen Monografien porträtierte er maßgebliche Personen der europäischen Geschichte und hatte dabei die Vision eines Frieden stiftenden, geeinten Kontinents. Im Zentrum des Film steht eigentlich eine klassische, tragische Liebesgeschichte: die zwischen Stefan Zweig und Europa. 

 

 

Stefan Zweig schwärmt von der multi-ethnischen Gesellschaft Brasiliens, er wird dort mit offenen Armen empfangen und nimmt sich dennoch nach wenigen Jahren in Petrópolis, das eigentlich wie ein Paradies auf Erden wirkt, das Leben.

 

Seit ich Fotos von Petrópolis gesehen hatte, dieser tropischen Natur, so fremd und saftig und alles überwuchernd, wurde das ein Bild des Exils für mich: Ein Mensch blickt in eine Landschaft, in die er offensichtlich nicht gehört, und schaut durch sie hindurch. Er ist da und gleichzeitig nicht da. Das Gefühl, in zwei Welten zu leben und zwei Daseinsformen in sich vereinigen zu müssen, muss für jeden Exilanten, der einen Teil seines Lebens zurücklässt, unglaublich belastend sein. Lange vor dem Krieg hat Stefan Zweig die Meinung vertreten, dass es am besten wäre, ein staatenloser Weltbürger zu sein. Er liebte, zu reisen und Neues zu entdecken wie kein anderer — bis zu dem Moment, in dem er es musste. 

 

 

Dieser Film zeichnet sich durch einen feinfühligen und unkonventionellen Erzählrhythmus aus. Manches wird mit harten Schnitten gekappt, für andere Szenen lassen Sie sich viel Zeit.

 

Je mehr ich über Zweig gelesen habe, desto unmöglicher erschien es mir zuerst, daraus einen Film zu machen. Mein Problem mit Biopics ist, dass dort die Ereignisse eines Lebens wie auf eine Perlenkette gereiht, in eine kausale Folge gebracht und in eine sinnstiftende Dramaturgie gepresst werden. Sobald man solche dramaturgischen Konventionen anwendet, sitzt man in der Falle, weil das Leben in Wirklichkeit nur selten solchen Zusammenhängen folgt. Die Idee, sich auf Momentaufnahmen zu beschränken und von da aus in die Tiefe zu gehen, war für uns der Start des Projekts. Die Lücke, das Auslassen ist bewusster Teil des Films. 

 

 

Worin liegt die Aktualität des Stoffes?

 

Es ist gerade einmal siebzig Jahre her, dass Millionen Menschen vor dem Krieg aus Europa in alle Teile der Welt geflüchtet sind. Das ist im Lauf der Geschichte ein Wimpernschlag. Heute erleben wir eine große Flüchtlingsbewegung genau in die andere Richtung, nach Europa hinein. In einer Szene des Films versucht Lotte Zweig einem brasilianischen Vorarbeiter zu erklären, dass in Europa Krieg ist, und warum sie als deutsche Jüdin nicht in Deutschland leben kann. Im Gesicht des Vorarbeiters sieht man dasselbe Unverständnis wie heute in unseren Gesichtern, wenn wir von den verschiedenen Kriegsparteien in Syrien oder in anderen Brennpunkten der Welt hören, über die wir kaum etwas wissen.

 

Eine der Fragen des Filmes ist: Wie verhält sich ein Künstler in einer politisch polarisierten Situation?

 

Das ist im gesamten 20. Jahrhundert relevant geblieben und gewinnt auch heute wieder an Wichtigkeit. Zweig war der Meinung, dass ein Künstler durch nichts so viel gesellschaftlichen oder politischen Einfluss erlangen  kann, wie durch seine künstlerische Arbeit. In der sich radikalisierenden Umgebung, in der wir uns heute befinden, fliegen einem Bekenntnisse und Meinungen und vor allem Warnungen geradezu um die Ohren. Politisch und medial erleben wir gerade eine Art Zwangs-Hysterisierung. Ich wünsche mir, dass unser Film Raum gibt für etwas, das im Moment wenig Raum hat, und dass der Film dazu einlädt, Situationen aus unterschiedlichen Sichtweisen zu betrachten. Ich glaube fest daran, dass verschiedene Perspektiven und die Fähigkeit zur Differenzierung das Leben mehr bereichern, als wenn man bestimmte Sichtweisen auszuschließt, nur um eine messerscharfe Meinung artikulieren zu können.

 

Preview: So 5.6., Odeon, 19 Uhr, im Anschluss Gespräch mit Maria Schrader.

 

Infos: filmsociety.de