She knows how to curse

Die Rapperin, Poetin und Arbeitertochter Kate Tempest kommt zu einer Lesung nach Köln

Viele Rapper besitzen ein großes Mitteilungsbedürfnis, aber nur die wenigsten könnten mit ihren Themen Bücher füllen, die es wert sind, gedruckt zu werden. Während Kate Tempest hierzulande vorwiegend als Rapperin und legitime Nachfolgerin von Mike Skinner (The Streets) gehandelt wird, trat die inzwischen 30-jährige Britin zu Beginn ihrer Laufbahn vor allem als Lyrikerin und vielversprechende Dramaturgin in ihrer Heimat in Erscheinung. Noch zwei Jahre vor der Veröffentlichung ihres gefeierten Debütalbums »Everybody Down« (2014) publiziert sie — damals noch im Eigenverlag — ihren ersten Gedichtband »Everything Speaks In Its Own Way«. Es folgten vom britischen Feuilleton mit großer Begeisterung aufgenommene Thea-terstücke (u.a. »Wasted«), die von den Sorgen und Nöten der Twentysomethings im modernen London erzählen. Ein Thema, das sie später erneut für ihr Debütalbum adaptieren wird. Zusammenarbeiten mit der renommierten Royal Shakespeare Company und der BBC festigen ihren Ruf als gefragte Rap-Poetin, die für ihre in der Livefassung 75 Minuten lange Spoken-Word-Performance »Brand New Ancients« 2013 als bislang erste und einzige Künstlerin unter vierzig Jahren mit dem Ted-Hughes-Award ausgezeichnet wird, dem wichtigsten Preis für zeitgenössische Lyrik in Großbritannien. 

 

Dieser Verdienst ist nicht nur ein beachtlicher Kritikererfolg für die damals 27 Jahre junge Britin gewesen, sondern auch insofern bemerkenswert, weil es Tempest gelingt, ein angestaubtes Genre wie Lyrik für eine Zielgruppe zu popularisieren, die darunter bisher hauptsächlich leicht verdauliche Erbauungspoesie auf Tumblr verstand. Nur ein Jahr später pilgern zur Buchvorstellung ihrer zweiten, beim Londoner Picador-Verlag verlegten Lyriksammlung »Hold Your Own« gleich über 1000 Besucher. Alle wollen die sommersprossige Schulabbrecherin sehen, die 1985 als Kate Esther Calvert in Brockley, einem der ärmsten Viertel im Süden Londons als jüngstes von fünf Ge-schwis-tern geboren wurde und mittlerweile von der einflussreichen Literaturkritik der New York Times für ihre kraftvolle Poesie über alle Maßen gelobt wird.

 

Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Mit 16 schmeißt Tempest frustriert die Schule und hängt lieber auf Poetry Slams oder Open-Mic-Sessions rum, wo sie sich als furchtlose Battle-Rapperin ei-nen ersten Namen macht und den Grund-stein für ihren atemberaubenden Cockney-Flow legt. Ihre Leidenschaft für Sprache und Rhythmus bleibt Tempest trotz Schulabbruch erhalten, wenn auch für einen Working-Class-Teenager auf eher ungewöhnliche Weise: Fasziniert von der griechischen Götterwelt und den schicksalhaften Verstrickungen ihrer tragischen Sagenhelden verschlingt sie als Jugendliche am liebsten die Stücke von Sophokles wie andere in ihrem Alter Harry-Potter-Romane. Die Street Credibility für ihre ungeschminkten und wie aus dem prallen Leben gegriffenen sozialkritischen Texte sammelt Tempest in ihrer Zeit als Hausbesetzerin und Verkäuferin in einem inzwischen geschlossenen Londoner HipHop-Plattenladen. Dort kommt sie mit sämtlichen Spielarten von Rap in Berührung und verfällt hoffnungslos dem cleveren Storytelling des amerikanischen Wu-Tang Clan, der bis heute zu ihren maßgeblichen Einflüssen zählt.

 

Die ersten musikalischen Gehversuche auf Albumlänge folgen 2011 mit der alternativen HipHop-Formation Sound Of Rum. Der britische Guardian findet das Debüt-album des Trios nur okay, Roots Manuva aber ist sofort erklärter Fan der Britin, die live wie ein Wirbelsturm über die Bühne fegt und sich deshalb in Tempest umbenennt. Ihre wahre Strahlkraft entfaltet Tempest aber erst als Solokünstlerin mit ihrem Album »Everybody Down«, das 2014 beim britischen Indie-Label Big Dada erscheint und ihr eine Nominierung für den Mercury Prize einbringt. Darauf rappt Tempest mit treibenden Elektro-Beats um die Wette, dass es einem den Atem verschlägt.

 

Schon damals gab die Musikerin bekannt, dass sich jeder Track ihres Albums auf ein Kapitel ihres kommenden Romans beziehen würde. Dieses Versprechen löst Tempest nun mit ihrem ersten Roman »Worauf du dich verlassen kannst« kongenial ein. Wie schon auf dem musikalischen Vorläufer erzählt der Roman in zwölf Kapiteln (die eingedeutschten Kapitelüberschriften tragen dieselben Namen wie die Songtitel) die Geschichte von Becky, Pete, Harry und Leon. Die Rasanz und Dringlichkeit, mit der die Geschichte um eine Clique junger Erwachsener aus London erneut ausgebreitet wird, geht auf 400 Seiten zwangsläufig ein wenig verloren, soll aber nicht Tempests beeindruckende erzählerische Kraft schmälern. Wie immer erzählt Tempest ihre Geschichte, die Sozial-studie und Roman zugleich ist, aus der Mitte ihres Milieus. Ihre Protagonisten sind Figuren, die in ausweglose Situationen geraten sind und sozial nur wenig zu verlieren haben. Es geht um den alltäglichen Kampf und das Überleben in der britischen Metropole aus der Sicht der zunehmend in die Unsicherheit getriebenen unteren Mittelschicht.

 

Dass Tempest ihr literarisches Debüt angeblich in den Pausen zu ihrer letzten Konzertreise im Tourbus geschrieben haben soll, merkt man dem Roman nicht an. Auch ohne musikailische Begleitung erweist sich sie sich als scharfsichtige Gesellschaftsbeobachterin, die auch auf Papier nie um Worte verlegen ist. 

 

Buch: »Worauf Du Dich verlassen kannst«, Rowohlt 2016, 400 S., 14,99 Euro (Originalausgabe »The Bricks that built the Houses«, Bloomsbury UK, Taschenbuch ab 13,95 Euro)