Vom Winde bewegt

Endlich kommt mit »The Assassin« wieder ein Film von Meister-Regisseur Hou Hsiao-Hsien ins Kino

Er gehört zu den einflussreichsten Filmemachern des Weltkinos: Der Taiwanese Hou Hsiao-hsien hat den minimalistischen Realismus definiert, der in Asien, aber nicht nur dort, das Arthouse-Kino prägt. Die langen, distanzierten und fast unbewegten Kameraeinstellungen, die man mit Malaysier Tsai Ming-liang, mit dem Japaner Hirokazu Kore-eda oder dem Thailänder Apichatpong Weerasethakul verbindet, hat Hou schon vor drei Jahrzehnten als Stilmittel eingesetzt und in alle Richtungen fortentwickelt. »Eine Stadt der Traurigkeit« machte Hou 1989 berühmt — er gewann dafür in Venedig den Goldenen Löwen. Dennoch war es Hous bislang letzter Film, der einen Kinostart in Deutschland hatte. Das spricht Bände über die Filmkultur in diesem Land. Und ebenso bezeichnend ist es für die Kölner Kinolandschaft, dass der jüngste Film des nunmehr 69-Jährigen, der vor einem Jahr in Cannes den Regiepreis gewann, nur deshalb in Köln zu sehen ist, weil sich die sanierungsbedingte Schließung des Filmhauskinos verzögert.

 

»The Assassin« handelt von einer jungen Frau, die im China des achten Jahrhunderts zur Profi-Killerin ausgebildet wird und mit dem Auftrag in ihre Heimatprovinz zurückkehrt, den Gouverneur zu töten. Das ist ein typischer Martial-Arts-Stoff, den Hou jedoch eigenwillig interpretiert. Und obwohl der Filmemacher die Idee schon seit einem Vierteljahrhundert mit sich herumgetragen hat, kann man diesen Film mit nichts in seinem Oeuvre vergleichen.

 

Zwar gliederte Hou schon seine ersten Regiearbeiten mit Hilfe von Landschaftspanoramen, doch die unwirkliche Schönheit, die Gebirgszüge und Wasserfälle hier entfalten, ist in den vorangegangenen siebzehn Spielfilmen so nicht zu sehen. Die Meisterschaft, die Hou darin entwickelt hat, Innenaufnahmen mit Details anzureichern, führt zu einer diskreten Pracht, die die Kamera zu einem ständigen Bewegungsfluss animiert. Dabei scheinen sich Oberflächentexturen manchmal in Luft aufzulösen: In der Kombination mit halbdurchsichtigen Vorhängen, die im Bildvordergrund vom Wind bewegt werden, verwandelt das Zoomobjektiv flackernde Kerzen in schwebende Lichtpunkte. Ähnlich abstrahierend ist der Effekt der elliptischen Erzählweise, die das stärkste Bindeglied zwischen diesem Film und Hous bisherigem Werk darstellt. In den einzelnen Handlungsepisoden deuten sich Zusammenhänge und Hintergründe bloß an. Die Geschichte tritt gegenüber den Einzelbildern zurück, deren hinreißende Wirkung nur auf der Kinoleinwand zur Geltung kommen kann.

 

 

The Assassin (Nie yin niang) TWN/VRC/HK/F 2015, R: Hou Hsiao-Hsien, D: Qi Shu, Chang Chen, Satoshi Tsumabuki, 105 Min. Start: 30.6.