Walid Raad in Stommeln

Die Verunsicherung ist Programm. Betritt man die ehemalige Synagoge in Stommeln, ist der Zugang zum Hauptraum versperrt, die Fenster sind mit Brettern verschlossen. Von der Frauenempore sieht man auf eine Art Grabungsstätte hinunter: Der frühere Gebetsraum ist gefüllt mit Erde, die Abdrücke von Holzkisten — Transportkisten? — aufweist. Ungefähr in der Mitte blickt man in ein von oben beleuchtetes Loch, das den Zugang zu einem Tunnel bilden könnte. In dieser Installation, die der in New York lebende Künstler Walid Raad mit dem Team »SITU Studio« realisiert hat, geht es offenkundig um das, was abwesend ist. 

 

Vor 25 Jahren begann in die--sem Gebäude, das im Lauf der Geschichte als Synagoge, Abstellraum und Kulturzentrum diente, eine international beachtete Ausstellungsreihe. Die Leerstelle im Zentrum von Raads Inszenierung erinnert an das Erscheinen und Verschwinden dieser Kunstpräsentationen, aber auch daran, dass die jüdische Gemeinde das Gebetshaus bereits in den 20er Jahren aufgeben musste. Was geschah mit der ursprünglichen Ausstattung? Und heute? Was geschieht mit Kunstwerken, die von Kriegen und Katastrophen bedroht sind? Wer sind ihre Retter, wer die Profiteure? Wer erhebt Anspruch auf ihren Besitz, auf die Definition ihrer Bedeutung? Der Ausstellungstitel »Those that are near. Those that are far.« spielt mit seinen alttestamentarischen Schwingungen auch auf die Reklamation verstreuter jüdischer Kulturgüter durch den Staat Israel an.

 

Als konzeptuelles Denkbild ist Raads Fluchttunnel verbunden mit geheimen Verbindungswegen rund um den Globus: zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, zwischen Mexiko und den USA, zwischen dem Louvre Paris und dem Louvre Abu Dhabi. Raad selbst wurde 2015 die Einreise in die Vereinigten Arabischen Emirate verweigert, weil er gegen die Arbeitsbedingungen protestiert hat, die auf den Baustellen westlicher Kulturinstitutionen in Abu Dhabi herrschen. Sein Entwurf zu »Those that are near. Those that are far.« ist bereits vier Jahre alt. Die Assoziationen, die die Arbeit heute weckt, zeigen, dass sein Projekt noch an Dringlichkeit gewonnen hat. 

 

Walid Raad, 1967 im Libanon geboren, lebt in New York. Er hat in Museen in Europa, dem Nahen Osten und Nord-amerika ausgestellt, war Teilnehmer der Venedig-Biennale und Documenta und ist Mitglied der Kölner Akademie der Künste der Welt.

 

»Those that are near. Those that are far.« Eine Installation von Walid Raad
& SITU Studio, Synagoge Stommeln, Hauptstr. 85 a, 50259 Pulheim,
Öffnungszeiten Fr 15–18, Sa + So 13-18 Uhr u.n.V., bis 25.9.