Süßegurkenzeit

Das kulinarische Sommerloch muss nicht sein – wenn man sich ein Beispiel an der Gurke nimmt.

Es klafft zwischen EM und Bundesligastart, es tut sich auf in der parlamentarischen Sitzungspause, es liegt als kulturelles Jammertal zwischen zwei Stadttheater-Spielplänen: das Sommerloch. Aber ein kulinarisches Sommerloch, das gibt es nicht. Steinobst, Beeren, Hülsenfrüchte, Gurken und Melonen?... Alles sprießt jetzt, und die Ereignisse überschlagen sich —  wenn man denn will und bereit ist für Entdeckungen. Kulinarisch ist die Sauregurkenzeit übervoll. 

 

Die tatsächlich öde Sauregurkenzeit jedoch ist ganzjährig: Denn wir können uns die Gurke kaum noch anders denken als sauer. Vom Spreewald bis nach Russland wird sie in Essig getränkt und mit Senf, Dill und anderem Kraut aromatisiert. Aber warum wird die Gurke ausschließlich dieser Geschmacksqualität zugeordnet? Wir müssen gegen dieses Gurken-Klischee angehen! 

 

Durch Apicius, antiker Snob und Schmecklecker, sind einige Gurkenrezepturen zu uns gelangt, bei denen auch Honig oder der beste Süßwein zum Einsatz kommen. Das ist ein guter Anfang. Ja, die Gurke kann süß sein, sie kann überhaupt fast alles! Doch für die aromatische Emanzipation der Gurke eignen sich kaum die Schlangengurken aus den Treibhäusern. Wir brauchen die kurzen Schälgurken vom Acker, ihre Saison hat gerade begonnen.

 

Das gilt auch für die Wassermelone, die der Gurke in Geschmack und Konsistenz so sehr ähnelt, dass es erstaunlich ist, wie wir sie in der Alltagsküche voneinander trennen. Das ist allein unserer Gleichgültigkeit gegenüber den tatsächlichen aromatischen Verhältnissen geschuldet — und einer sinnenfeindlichen Bürokratie in unseren Küchen, die strikt trennt zwischen Obst und Gemüse. Es braucht jedoch weder Wagemut noch überbordende Phantasie, um Gurken und Melonen zu kombinieren — es liegt ganz nahe. Mehr noch: Die Gurke passt ebenso zu Zuckermelonen: seien es nun Galia, Honigmelone oder Cantaloupe. Man kann damit in Form von Sorbets oder kalten Suppen experimentieren, man kann jedoch die Gurken und Melonen ebenso in Pfannen und Töpfe geben. Warum kein Ragout, keine Pastasauce mit Gurken und Melonen?

 

Dass Melonen ausgerechnet in der vermeintlichen Sauregurkenzeit Saison haben, sollten wir als Anregung nehmen. Es gibt kulinarisch kein Sommerloch, sondern es türmt sich vielmehr ein Gebirge mit gustatorischen Gipfeln auf, die jetzt erklommen werden können — mit Gurken und Melonen.