Mit den Ohren denken

Das Ensemble MusikFabrik feiert 25-jähriges Jubiläum, zu ihren Partnern zählen auch die Avantpopper Mouse on Mars

»Ist das Loch zu groß, von hier nach hier?« Die Violinistin Hannah Weirich zeigt auf ihr Notenblatt. Klarinettist Carl Rosman kneift die Augen zusammen und beugt sich über ihre Schulter: »Vielleicht«. Weirich klemmt ihre adapted viola, eine Bratsche mit Cellohals, wieder zwischen die Knie und setzt erneut an. Rosman nimmt ein Schluck Wasser aus einer Sektflasche (sic!) und intoniert »Ta-ta-ta-t-t-t-t-t-t-ta-ta-taaah«, Weirich schlägt dazu mit ihrem Bogen rhythmisch auf die Saiten. Die Musik, die sie spielen, ist skurril, campy, ein bisschen gaga — kurz: sie wirkt für die häufig so ernste Neue Musik geradezu leichtfüßig. 

 

Die beiden Musiker des Kölner Ensembles MusikFabrik proben ein Stück des amerikanischen Komponisten Harry Partch. Partch (1901-74) gilt als maverick composer — als unorthodoxer musikalischer Einzelgänger — zu denen man auch Henry Cowell und Conlon Nancarrow zählen muss. Er verwarf in den 40er-Jahren das wohltemperierte Tonsystem als unnatürlich und schuf stattdessen ein 43-stufiges, das nicht mit herkömmlichen Instrumenten zu spielen ist. Um seine Kompositionen zu realisieren, baute er kurzerhand seine eigenen. Nach seinem Tod lagerte der einzige vollständige Satz dieser obskuren Instrumente in einem Museum in Seattle. Konzertante Aufführungen seiner Schlüsselwerke schienen unmöglich.

 

Unter Eingeweihten war man sich trotzdem schon lange einig, dass Partch zu den großen Komponisten des 20. Jahrhunderts gehört. Dass sich diese Erkenntnis vor ein paar Jahren auf breiterer Basis durchsetzte, verdankt sich vor allem dem Ensemble MusikFabrik. Anlässlich der Ruhrtriennale 2013 realisierte das Ensemble zusammen mit Heiner Goebbels eine Aufführung der Partch-Komposition »Delusion Of The Fury« (Wahn der Raserei) aus dem Jahr 1969. Eine herkulische Aufgabe. Das Ensemble baute hierfür 2012 zusammen mit Percussionist Thomas Meixner die Instrumente nach — 27 an der Zahl. Und die Musiker lernten in monatelanger, mühseliger Arbeit die ungewöhnlichen Instrumente zu spielen. Eine Herausforderung für alle Beteiligten. Partchs Instrumente sind spektakuläre Hybriden, baumähnliche Schlagzeuge, riesige Harfen und monströse Marimbafone.

 

Seit ihrer Gründung hat sich die offiziell als NRW-Landesensemble firmierende und im Mediapark in den früheren Viva-Studios residierende MusikFabrik radikal der Offenheit verschrieben. Neben der Pflege der Klassiker der Moderne und der Arbeit mit zeitgenössischen Komponisten, erarbeitete sich das Ensemble einen exzellenten Ruf für spartenübergreifende Produktionen, etwa mit einer Kooperation mit dem Choreographie-Star Sasha Waltz, einer Comic Oper, Arbeiten mit dem Sun-Ra-Gitarristen Dave Hotep oder dem Free-Jazz-Pionier Peter Brötzmann. Und eben mit dem  Partch-Projekt, das äußerst erfolgreich in New York, Paris oder Amsterdam aufgeführt wurde. Seit 2011 findet zudem eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Mouse on Mars statt. Pianist und MusikFabrik-Gründungsmitglied Ulrich Löffler nennt die Elektroniker Andi Thoma und Jan Werner »verrückte Vögel« und meint das durchweg als Anerkennung. Die Gemeinsamkeit liegt im Enthusiasmus und Offenheit. Sie beschäftigen sich alle, so der Oboist Peter Veale, »mit neuer Musik: Musik, die man zuvor noch nicht gehört hat«. 

 

Zum Profil der Musiker gehört zudem eine gehörige Portion Idealismus: Sie verdienen wenig, verglichen mit der Besoldung eines Orchestermusikers, kommen sie ungefähr auf ein Drittel der tariflichen Bezahlung. Und es gibt nur Honorarverträge pro Projekt. Löffler bringt die finanzielle Situation so auf den Punkt: »Verglichen mit den freien Ensembles sind wir natürlich privilegiert, aber im Vergleich zu den Orchestern ist das ein Witz.« Laut aktuellem NRW-Haushaltsbericht lagen die Gesamtausgaben des Ensembles im Jahr 2015 bei etwas über 2,5 Millionen €, der Zuschuss des Landes betrug 680.000 €. Als institutionelle Förderung fließt das Geld zur Gänze in die Verwaltung, das Risiko durch eine unsichere Auftragslage trägt das Ensemble alleine. Projektförderung findet nur bei Ausnahmeproduktionen wie etwa »Delusion Of the Fury«, der Uraufführungsreihe »MusikFabrik im WDR« und im Bereich Nachwuchsförderung statt, bei letzterem ist vor allem der Bund aktiv. Das Ensemble bleibt so zwar künstlerisch unabhängig, ist aber immer froh, wenn am Ende des Jahres die schwarze Null steht. Im Resultat heißt das neben der schwelenden Gefahr eine Insolvenz, dass die Produktionen der MusikFabrik teuer sind. Alle Kosten, von den Proben bis zur Unterbringung, müssen anteilig an den Veranstalter weitergegeben werden. Viele Städte und Kommunen wollen sich eine solche Produktion als Gastspiel nicht mehr leisten. Dass in Köln etwa noch nicht »Delusion Of the Fury« aufgeführt wurde, resultiert aus dieser unbefriedigenden Logik.

 

Das Ensemble konnte sein Renommee durch wagemutige und spektakuläre Produktionen und eine hervorragende Nachwuchsförderung noch steigern. Längst gilt es als eines der international wichtigsten Klangkörper für zeitgenössische Musik. Die Projektausgaben sind entsprechend mehr als doppelt so hoch als noch vor zehn Jahren — die Förderung orientiert sich aber weiterhin an den indirekten Kosten, die im gleichen Zeitraum nur leicht gestiegen sind. Michael Bölter, Projektmanager der MusikFabrik, sieht auf Dauer die Wettbewerbsfähigkeit des Ensembles gefährdet. Er macht sich Sorgen um die Zukunft. Ob eine derartige Förderung durch das Land weiterhin ausreicht, bezweifelt er ebenso wie Löffler. Der sonst so gut gelaunte Pianist kratzt sich nachdenklich am Kinn: »Um in den nächsten zehn Jahren weiter diese Leistung bringen zu können, braucht das Ensemble schlicht das dreifache der bisherigen Fördersumme.«