Zuckerwatteverkäufer auf den Dancefloor

Der isländische Produzent Bjarki debütiert gleich mit drei Alben

»Es ist mir zu Ohren gekommen, dass meine Musik in Belgien in Fahrstühlen gespielt wird«, erzählt mir Bjarki Runar Sigurdarson, der sich als Musiker Bjarki abkürzt. Eine durchaus überraschende Information, die ihm aber offensichtlich viel bedeutet, da es sein Standing in der eigenen Familie stärkt. »Meine Familie hat meiner Musik bis dato nicht wirklich Beachtung geschenkt«, fährt er fort. »Für sie ist das in etwa so, als ob ich Videospielen würde. Wenn es nach ihnen geht, dann kann gute Musik nicht an einem Computer entstehen, mein Vater hört Klassik und meine Mutter Disco.«

 

Ein bisschen Koketterie dürfte schon mitschwingen. Immerhin hat Bjarki gleich mit seiner ersten Maxi »I Wanna Go Bang« das vorgelegt, was man im Genre-Slang eine amtliche Veröffentlichung nennt und weltweit euphorische Reak-tionen hervorgerufen. Das Stück sollte man als Reminiszenz an die holländische Clubkultur begreifen, die Bjarki während einer kurzen Phase, als er in Amsterdam lebte, lieb gewonnen hat für ihren schnörkelosen und melancholischen Technoansatz — und die effizienten Entstehungsbedingungen: Das Stück ist in vierzig Minuten produziert worden, merkt er zufrieden an.

 

Dass »I Wanna Go Bang« nicht auf einem der gleich drei Alben zu finden ist, mit denen Bjarki dieser Tage debütiert, spricht für das Selbstbewusstsein des 26-jährigen Isländers. Und in der Tat schließen Tracks wie »Here It Comes Can You Feel it 92 Hoover 2« (Ecstasy-Techno für den großen Dancefloor) und »Planet Earth Q94 [Live Edit]« (mit seinem nervösen Acid-Geflatter) nahtlos an den Hymnen-Charakter der Maxi an. 

 

Aber blicken wir ein paar Jahre zurück. Sein Erweckungserlebnis durch Musik hat Bjarki seinen schlechten Schulnoten zu verdanken. Diese sorgten dafür, dass er von der Mutter zum Vater zog, um es dort an einer neuen Schule zu versuchen. »Mein Vater lebte auf dem Land in einer sehr kleinen Stadt«, erinnert er sich. »Einer unserer Nachbarn war mit mir in einer Klasse und sein älterer Bruder produzierte Musik. Das interessierte mich mehr als Videospiele. Immer wenn er nicht da war, benutzte ich den Computer und arbeitet an meinem allerersten Album.« Leider ist das Werk heute verschollen, zumindest kann es der Vater nicht mehr finden — allerdings vermutet Bjarki, er habe es weggeschmissen. 

 

Nun könnte man angesichts dieser Geschichte denken, es handle sich bei Bjarki um ein Wunderkind. Dem widerspricht er aber sofortund gesteht ein, am Anfang lediglich rumgespielt und mit der Midi-Piano-Roll Bilder von Häusern und Schädeln in der Software gemalt zu haben. »Wenn ich dann auf Play gedrückt habe, kam ein totaler Quatsch raus, der mich stundenlang zum Lachen brachte.«

 

Auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt er sich denn sicher gewesen sei, ein Leben als Musiker führen zu können, reagiert er verhalten. Dieser Sicherheit existiere bis heute nicht, das sei dem Nachhall des letzten, extrem nervigen Jobs als Zuckerwatteverkäufer geschuldet und seinem Widerwillen, den Leuten zu geben, was sie wollen: »Wenn ich mehr Bang-Tracks und unispirierte DJ-Sets mit Hände-In-Die-Luft-Gefuchtel performen würde, dann wäre dem vielleicht so — aber das ist nicht mein Ding.« 

 

Stattdessen debütiert er lieber mit der 41 Tracks umfassenden, komplexen Album-Trilogie »B« (der Buchstabe B im kyrillischen Alphabet und natürlich stellvertretend für Bjarki), »Lefhanded Fuqs« (mit absichtlichen Buchstabenverdreher) und »Æ« (ausgesprochen wie das I im Englischen). Als Geschäftspartnerin konnte er hierfür die russische DJ und Produzentin Nina Kravitz und ihr Label Trip gewinnen. »Sie war eine große Hilfe dabei, den Mist, den ich Zuhause entworfen habe, so zusammenzufügen, dass nun tausende von Leute darauf anspringen. Das könnte ich nie alleine«, kommentiert er ihre Bedeutung im Werdungsprozess der Alben. Versucht man weitere Informationen zu dem Konzept und der Trennschärfe zwischen den drei Veröffentlichungen aus Bjarki herauszubekommen, antwortet er relativ knapp und mit deutlich ironischem Unterton. »Es handelt sich um Tracks aus verschieden Produktionsphasen von mir, die irgendwie zusammen passen. Das erste Album präsentiert das älteste und ravigste Material, das zweite entstand nur mit der linken Hand und das dritte mit reduziertem Equipment.« Nun, zumindest die erste Erläuterung kann man so unterschreiben: »?« kompiliert atmosphärische Technotracks, »Lefhanded Fuqs« experimentelle Stücke, und »Æ« vereint gleichermaßen ältere und aktuelle Produktionen mit Ambient-Flair, die man sich sehr gut als Film-Soundtrack vorstellen kann.

 

Bjarki verweist angesichts seines weiten Spektrums an Sounds auf seine musikalische Neugierde, die es ihm nicht ermöglichen würde, beim Produzieren zweimal den gleichen Weg einzuschlagen. Da kommt dann wohl noch immer der unbekümmerte Teenager-Produzent durch, der alles und vor allem sich nicht so wichtig nimmt — eine Sorglosigkeit, die gar nicht so leicht zu erhalten ist, wenn man plötzlich nicht mehr nur für sein eigenes Archiv produziert, sondern für die Dancefloors der wichtigsten Clubs der Welt. Das zu realisieren, damit tue er sich in der Tat noch schwer, gesteht Bjarki. »In Island haben wir ja keine wirkliche Szene«, merkt er an, »aber auf den Reisen komme ich nun auch viel an Orte, an denen oft nur Stereotype von meinem Live-Set gefragt sind. Wenn man da nicht das Four-to-the-Floor-Diktat befriedigt, dann interessiert es keinen.« Das Klischee, mit dem er sich konfrontiert sieht, sind Leute, die zwei Stunden lang »I Wanna Go Bang« von ihm hören wollen. »Ich könnte dem natürlich nachgeben, aber ich will lieber experimentieren und auf diese Weise mehr von mir zeigen. Das fühlt sich für mich ehrlicher an.«