Reichtum aus Lücken

»Imarhan« lassen die Wüste erblühen

Man kann den Touareg-Rock getrost als Blues des neuen Jahrtausends bezeichnen, zumindest was das erste Jahrzehnt angeht. Was beim amerikanischen Blues ab den 70er Jahren konserviert klang, festgenagelt auf Revival-Shows, ist bei Touareg-Bands — und über zig Jahre war das hierzulande ein Synonym für das Kollektiv Tinariwen — noch frei und unkontrolliert. Vielleicht auch unkontrollierbar: Beharrungskraft und ein ungebrochener Widerstandsgeist, die sich in lakonisch monotone, dabei zwingend groovende und auf eine betörende Minimal-Hookline hinauslaufende Tracks übersetzten.

 

Die fünfköpfige südalgerische/nordmalische Band Imarhan bereichert dieses Bild so unkonventionell, dass es unter den neuen Farbvarianten sich fast bis zur Unkenntlichkeit ändert. Ihre Musik klingt differenzierter, als hätte jemand die komprimierten Tinariwen-Songs auseinandergezogen. Plötzlich ist ganz viel Platz in dieser Musik. Auch vorher gab es den en masse, aber er war definiert. Aus den Lücken in den Songs Imarhans sprießt nun Funk, Folkmelodien, die sie sich Crosby Stills Nash abgehört haben könnten (topseriöse Bezugsgröße!) oder Rhythmen, die sie aus dem subsaharischen Afrika importiert haben. Schon grüßt das nächste Label: Imarhan sind Eklektiker! Noch vor zehn Jahren hätten Hardcore-Kollegen gemäkelt, die Band leite den Ausverkauf ihrer Musik und ihrer Szene an nordwestliche Hörgewohnheiten ein.

 

Aber falsch. Wer genauer hinhört, bei so einer geschmeidigen Musik wie der von Imarhan sollte das leichtfallen, entdeckt: An der Produktion und am Songwriting war Eyadou Ag Leche von Tinariwen beteiligt, übrigens Cousin von Frontmann Iyad Moussa Ben Abderahmane. Schon Tinariwen haben nie traditionelle Musik gespielt, sondern den Einfluss von Santana bis Springsteen herausgestellt — denen wollte man nacheifern, was nicht so ganz gelang. Aus gescheitertem Epigonentum ist dann diese großartige Musik entstanden, die missverständlich Wüstenrock genannt wird.

 


Imarhan haben es da leichter. Sie müssen nicht auf Kassetten zurückgreifen, wie sie einst in algerischen Flüchtlingslagern kursierten; sie stöbern durchs Internet. Sie sind sich ihrer wortwörtlichen Außenseiterposition bewusst, versichern sich aber auch der prächtig blühenden eigenen Szene. Sie müssen sich keinen Cool-Standards unterwerfen, wie sie in Europa und den USA den Pop gleichzeitig limitieren wie schärfen. Die unterschiedlichen Stile, die sie einschmelzen — es sind immer noch Songs wie aus einem Guss, kein knarzender Funbkbass kriegt sie entzwei — haben ihnen große Konzentration abverlangt. Diese Anstrengung hört man der Musik nicht an, und vielmehr kann man eigentlich nicht erreichen.