Stummfilmtage Bonn

Die Bonner Stummfilmtage sind nicht nur die einzig relevante Freiluftkino-Veranstaltung der Region, sondern überhaupt eines der Filmkulturjuwelen des Landes. Auch dieses Jahr vertrauen sie auf eine bewährte Mixtur: Kanonisierte Klassiker laufen neben Ausgrabungen mehr oder weniger exzentrischer Art. Zur ersten Kategorie gehören die Charlie-Chaplin-Komödien »Ein Uhr nachts« und »Gehetzte Unschuld«, Réné Clairs Fantasy-Film »Das schlafende Paris« und die Schauerromantik von Friedrich Wilhelm Murnaus »Der Gang in die Nacht«. Zur zweiten Kategorie zählen zum Beispiel Walter Robert Booths »Der Luftkrieg der Zukunft« und Ernst Wendts »Die weiße Wüste«.

 

Im Programm der Stummfilmtage trifft Animation à la »Kokos Zeichentrickfabrik« von Dave und Max Fleischer auf Dokumentation in Gestalt eines Programms mit sensationellen Raubtierfilmen aus der Produktion des Großwildjägers, Teehändlers und Schriftstellers John Hagenbeck, Bruder des Hamburger Zoogründers Carl. Schönheit von der Stange wie »Fairbanks ist verrückt« von Edelroutinier Victor Fleming jagt verwegen-eigene Formen von Genie, wie sie Nunzio Malasommas bizarr-liebenswerte Zirkusathleten-Komödie »Mister Radio« offeriert oder Roland Wests Gothic-Schwärmerei »Die Fledermaus«. Die Widersprüche lösen sich schließlich stilvoll auf in einer wahren Metakino-Orgie, zu der Ladislas Starewitchs Monument der Insektenanimationspoesie »Die Rache des Kameramanns« einladen und Dongshan Shis Film-über-Film-Rarität »Zwei Sterne in der Milchstraße«.

 

Neben den schon genannten Abweichungen aus Teltow, Hollywood und Shanghai erfreut ganz besonders ein historisch recht singulärer Versuch in Sachen Filmrealismus aus tschechoslowakischer Produktion das Kinokorsarenherz, Carl Junghans’ »So ist das Leben!«, und der ästhetisch zugespitzte Frontbericht aus den Laufgräben des Klassenkampfes »Impressionen vom alten Marseiller Hafen« des Ungarn László Moholy-Nagy. Zwei Filme, die gestalterisch das Rüd-Raffinierteste sind, was es dieses Jahr im Innenhof der Bonner Universität — wie immer gratis! — zu entdecken gibt. So sieht sinnstiftende filmkulturelle Arbeit aus.