Wie Woodstock - nur anders

Manche sind begeistert, andere jetzt schon genervt: Was erwartet Köln während des Katholischen Weltjugendtages? Thomas Goebel versucht, das religiöse Groß-Festival zu verstehen

Seit von jedem zweiten Kölner Fahnenmast das Logo des Katholischen Weltjugendttages (WJT) weht, hört man die Frage immer öfter: Was reizt eine halbe Million Jugendliche daran, aus aller Welt nach Köln zu reisen, um einen alten Mann mit konservativen Ansichten zu treffen? Kirche und Jugend, das ging doch bisher nicht zusammen. Ist Kirche nicht noch spießiger, noch peinlicher als Politik? Die trauernden und jubelnden Jugendlichen auf dem Petersplatz passten schon nicht so richtig ins Bild – ließen sich aber noch scheinbar einfach erklären: Der Tod des alten und die Wahl des neuen Papstes seien halt Ausnahmesituationen, das Ganze ein Medienphänomen, und dass Italiener und Polen ein bisschen komisch sind, wenn es um den Papst geht, wusste man ja sowieso.

30.000 freiwillige Helfer

Jetzt aber Köln: 500.000 Besucher zwischen sechzehn und dreißig Jahren, siebzig Prozent der Anmeldungen kommen aus Europa – vor allem aus Italien, Deutschland und Frankreich. Vom 15. bis zum 21. August werden sich die »registrierten Pilger«, wie sie offiziell heißen, in Köln und Umgebung aufhalten. Untergebracht sind sie zum Beispiel in Schulen, aber auch in Privatquartieren: Bis Mitte Juni hatten bereits 25.000 Haushalte 78.000 Schlafplätze zur Verfügung gestellt.
Die schiere Größe des Events macht bereits einen Teil seiner Faszination aus. Hermann-Josef Johanns, Geschäftsführer der gemeinnützigen Weltjugendtag GmbH, bekommt glänzende Augen, wenn er die Zahlen herunterbetet: Über 30.000 freiwillige Helfer haben sich gemeldet. Über 6000 Priester, mehr als 600 Bischöfe und Kardinäle und etwa 4000 Journalisten sollen kommen. In den Messehallen stehen über 100 Beichtstühle. Ein Abschnitt der Autobahn A1 wird Samstag und Sonntag gesperrt, um als Parkplatz für 1700 Busse zu dienen.

Der Papst kommt

Köln wird den Höhepunkt der Weltjugendtags-Woche schon am Donnerstag, den 18. August erleben: Dann kommt der Papst. Am Nachmittag soll er auf einem Schiff den Rhein befahren und dort, wo einst die Heilige Ursula mit ihren 11.000 Jungfrauen in den Fluten versank, die am Ufer wartenden Pilger grüßen. Es folgt ein stilles Gebet im Dom und ein Abendsegen auf dem wohl völlig überfüllten Roncalliplatz. Damit alle Papstpilger einen Blick auf den Heiligen Vater werfen können, wurden die samstagabendliche Vigil-Feier und die sonntägliche Messe auf das Marienfeld westlich von Köln verlegt. Die Nacht von Samstag auf Sonntag sollen die Jugendlichen an Ort und Stelle verbringen, Hunderttausende im Schlafsack auf dem Acker. Woodstock war nichts dagegen.

Jugendkultur und katholische Sexualmoral

Nur dass es beim WJT nicht um Rock geht, sondern um Religion. Bei aller Heldenverehrung erklären gern gehörte Sätze wie »Der Papst ist Pop« zunächst nichts – außer dass der Papst eben populär ist. Jugendbewegungen wie »Wahre Liebe wartet«, die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe predigen und damit ganz auf Vatikan-Linie liegen, gibt es in Deutschland zwar auch – Massenbewegungen sind sie aber lange nicht. Jugendkultur und katholische Sexualmoral passen weiterhin nicht zusammen. Müssen sie auch gar nicht. Ein Teil der Popularität des Papstes liegt gerade darin, unpopulär zu sein: anders als die anderen, von Zeitgeist und Umfragewerten unbefleckt, konsequent – und natürlich einzigartig inszeniert. In Sachen Sexualmoral entscheidet man sich dann eben anders als der Papst, na und?


Die Mehrzahl der Jugendlichen glaubt an Gott

»Religion ist zu etwas geworden, was man sich aussuchen kann«, sagt der Münchener Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf. Wichtig sei den Menschen ihr »individueller Glauben«, zu religiösen Traditionen verhielten sie sich »auswählend«. 78 Prozent der Jugendlichen in Deutschland glauben laut einer Umfrage des Kölner Stadt-Anzeigers an Gott. Das Motto zum Weltjugendtag stammt aus dem Matthäusevangelium und heißt »Wir sind gekommen, um ihn anzubeten«. Nur – ist der Gott der Umfrage der christliche, genauer: der katholische Gott? Oder ist er ein persönlicher Gott, eine vielleicht vage Vorstellung von einer höheren, einer anderen Macht als der weltlichen, politischen, ökonomischen, die den Alltag bestimmt? Das religiöse Wissen unter Jugendlichen nimmt ab, neulich seien zwei Mädchen in seinen Konfirmationsunterricht gekommen, berichtete der Pfarrer Christoph Nötzel bei einer Veranstaltung des Evangelischen Stadtkirchenverbands Köln, die die Bibel keiner Religion zuordnen konnten. Das Bedürfnis nach einer Gegenwelt zur Welt, das Bedürfnis nach dem, was ebenso konsensfähig wie vage als »Spiritualität« bezeichnet wird, scheint davon unberührt.

Ausruf einer religionsfreien Zone

Steht der WJT also für eine Wiederkehr des Religiösen? Was bedeutet es, wenn die brasilianischen Superstars nach dem Sieg im Confederations-Cup noch auf dem Fußballrasen in »Jesus ™ you«-T-Shirts einen Gebetskreis bilden? »Ist es neurologisch bedenklich, sich in diesen Tagen nicht katholisch zu fühlen?«, wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kürzlich fragte?
In Köln jedenfalls regt sich inzwischen auch Widerstand gegen die Allgegenwart des Weltjugendtages. Mit geradezu missionarischem Eifer haben die Giordano-Bruno-Stiftung, das Kölner »Kaos Kunst- und Video-Archiv« und andere Gruppen eine »religionsfreie Zone« ausgerufen. Parallel zu den WJT-Veranstaltungen ist unter dem Motto »Heidenspaß statt Höllenqual!« eine Vielzahl kirchen- und religionskritische Filme, Lesungen und Diskussionen geplant. »Wir wollen zeigen: Moment, wir sind auch noch da!«, sagt Initiator Michael Schmidt-Salomon. »Unsere frohe Botschaft lautet: Aufklärung und Hedonismus«. Lege man den Religionsbegriff so konsequent aus wie etwa Kardinal Meißner, gebe es in Deutschland nur noch »weit unter zwanzig Prozent Christen«.

Ein Festival mit Superstar

Diese enge Auslegung dürfte allerdings kaum Konsens sein unter den Köln-Pilgern. Sie sind katholisch – was immer das für sie bedeutet –, und sie kommen zu einem riesigen Festival mit Superstar. So ist der Weltjugendtag von vielem etwas: Gemeinschaftserlebnis, religiöses Groß-Event, Marketing-Veranstaltung der katholischen Kirche, aber auch der Stadt Köln.
Das Sinnbild des WJT ist jener »Pilgerrucksack«, der in 500.000 Exemplaren für die Gäste bereit steht. Er enthält, wie die Veranstalter stolz verkünden, unter anderem »eine Trinkflasche, kompostierbares Essbesteck, ein Halstuch, einen Rosenkranz und eine Deutschlandkarte von der Deutschen Zentrale für Tourismus«.