Wer war Antonin Artaud?

»Der Elektroschock lässt mir nichts als Verzweiflung, er nimmt mein Gedächtnis, macht meinen Verstand und mein Herz stumpf, verwandelt mich in jemanden, der abwesend ist und wochenlang sein Selbst sucht, wie ein Toter neben einem Lebendigen, der nicht mehr er selbst ist«. So beschreibt Antonin Artaud 1943 seine Situation als Patient in einem psychiatrischen Hospital. Tatsächlich »behandelten« Ärzte den französischen Dichter, Künstler, Schauspieler und Theatertheoretiker gegen seinen Willen drei Jahre lang mit Elektroschocks, weil sie sich erhofften, ihn so von seiner Schizophrenie zu befreien.

Vom Surrealismus zur absoluten Inszenierung

Antonin Artaud (1896-1948) war bei seiner Zwangseinweisung 1937 in die erste einer Reihe von psychiatrischen Kliniken ein bekanntes Mitglied der Pariser Avantgarde. In den 20er Jahren hatte er die surrealistische Gruppe mitbegründet und das von ihnen unterhaltene Büro für surrealistische Forschung geleitet. Seine offenen Briefe an die Rektoren der europäischen Universitäten und den Papst, seine Botschaften an den Dalai Lama und Buddha in der Zeitschrift »La Révolution Surréaliste« 1926 zählten zu den heftigsten Provokationen der Zeit.

Der unbedingte Wille zur Auflehnung vertrug sich bald nicht mehr mit den streng formierten Surrealisten. Er verabschiedete sich von den »Klopapier-Revolutionären« 1928 mit der Streitschrift »In tiefster Nacht oder der surrealistische Bluff«.

In den 30er Jahren widmete er sich intensiv dem Film und Schauspiel. Er übernahm zahlreiche Filmrollen, arbeitete als Drehbuchautor und gründete 1935 das Avantgardetheater »Alfred Jarry«. Mit seiner Schrift »Das Theater und sein Double« propagierte er ein Theaterkonzept, das die Inszenierung verabsolutiert und an die Stelle der literarisch gebundenen Sprache Bild, Bewegung und Effekte setzt. Ein Konzept, das erst nachfolgende Generationen von Theatermachern wie Tadeusz Kantor oder Peter Brook umsetzen sollten und das auf die Aktionskunst der 60er Jahre wirkte. Im deutschen Sprachraum ist Artaud daher eher als der Entwickler des radikal entfesselten »Theaters der Grausamkeit« bekannt als durch sein schriftstellerisches, zeichnerisches und filmisches Werk.

Dichter des Wortschmerz

In Frankreich, wo Nachlassverwalterin Paule Thévenin seit 1956 seine Schriften posthum in über zwanzig Bänden öffentlich machte, ist Artaud eine literarische Identifikationsfigur, die ein radikales Leben mit einem radikalen Werk verschmolz. Wie bei keinem Autor sonst war sein Denken körperlich geprägt – seit der Jugend mit chronischen Schmerzen, Drogensucht und Anstaltsaufenthalten. Insbesondere im Spätwerk der neunjährigen Zwangsinternierung begehrte er leidenschaftlich gegen das Leiden, die Geisteskrankheit und die Psychiater auf, die ihn mit Lithium, Insulin, Quecksilberpräparaten und Elektroschocks traktierten. Dort wird er der Dichter des Wortschmerz und der Revolte, den Gilles Deleuze und Felix Guattari im »Antiödipus« (1972) beschreiben: »Artaud, das ist die Auflösung der Psychiatrie in ihre Bestandteile, gerade deshalb, weil er schizophren und nicht weil er es nicht ist. Artaud ist die Vollendung der Literatur gerade deshalb, weil er schizophren und nicht weil er es nicht ist.«

Zornig im Körper – »en colère de corps« so nennt Artaud sich einmal selbst. Die eindrücklichsten Zeugnisse für diesen Zorn sind wohl seine Zeichnungen und Notizen aus der Anstalt Rodez nach 1943, über denen er rezitierend und fluchend Stunden verbrachte. Er bearbeitete Porträts, bis das Papier riss, brannte Flecken in sein Selbstporträt.

Ein inszeniertes Leben

In einer konzentrierten Auswahl ist dieses zeichnerische Hauptwerk nun im Museum Kunstpalast in Düsseldorf zu sehen. »Montrage« nennt der situationistische Künstler Jean-Jacques Lebel, der Initiator der Ausstellung, die Kombination aus Filmprojektionen, Dokumenten, Büchern, Zeichnungen und dem Nachbau der Kammer für die Elektroschocktherapie.

Der Fokus des theatralisch »inszenierten Lebens« ist jedoch auf die Zeichnungen und auf Ausschnitte aus über 20 Filmen gerichtet, in denen Artaud von 1920 bis 1937 mitspielte. Diese zum Teil selten gezeigten Szenen laufen als Endlosschleifen auf frei hängenden Schirmen im abgedunkelten Labyrinth des Ausstellungssaales. Höhepunkt ist der Radiovortrag »Schluss mit dem Gottesgericht« von 1947, dessen französischen Text man auf einem Bildschirm (mit deutscher Untertitelung) verfolgen kann. Man hört Artaud deklamieren, beschwören, schnauben, schmettern und klagen. Der Vortrag, der sein erster öffentlicher Auftritt seit seiner Internierung im Jahre 1937 hätte werden können, wurde wegen blasphemischer Passagen nicht gesendet.


Ausstellung:
Artaud – Ein inszeniertes Leben. Filme, Zeichnungen, Dokumente, bis 16.10., Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Ehrenhof 4-5, Di-So 11-18 Uhr. Der Katalog zur Ausstellung kostet 24,50 Euro.

Im Rahmen der Ausstellung:
Sensible Leinwand – Das Phantom von Antonin Artaud. Projektion-Performance von Alain Fleischer, 7.9., Robert-Schumann-Saal, 19 Uhr.
Philippe Dagen: Sur Artaud/Über Artaud. Vortrag in französischer Sprache mit Übersetzung, 29.9., Ausstellungssaal, 19 Uhr.

Radiotipp:
»Pour en finir avec le jugement de dieu – Schluss mit dem Gottesgericht«. Zweisprachige Version des Hörspiels von Antonin Artaud, 30.8., Deutschlandfunk, 20.10 Uhr. Anschließend »Artaud im Radio« von Maren Kroymann.