Mal Landschaften, mal Kosovokrieg

An der Kölner Medienhochschule wird Videokunst gemacht, in Kölner Clubs mixen Video Jockeys, genannt VJs, ihre Bilder im Rhythmus der Partymusik. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, hat unser Autor eine Künstlerin und einen VJ gefragt.

»Es ist eine schwierige Frage, wie Videokünstler zu ihren Bildern kommen. Ich kann sie eigentlich gar nicht beantworten«, erzählt Corine Stübi in einem Kölner Café, während sie an einem Glas Weißwein nippt. »Es gibt so viele Praktiken und Zugänge, mich beeinflusst alles: von der Kunstgeschichte bis zum deutschen Fernsehen mit all diesen merkwürdigen Talkshows. Außerdem macht man als Frau jeden Tag Erfahrungen, die in die Arbeit mit einfließen. Dafür braucht man nicht immer abstrakte Konzepte.« Eine positive Erfahrung, die Stübi mit der Kölner Medienlandschaft verbindet, war die exzentrische Musikvideo-Auswahl des früheren Senders Viva 2. »Da wurde mir erst klar, dass es für abgefahrene Ideen zu guter Musik einen Ort gibt«, erzählt sie. Diese Erfahrung machte sie zur Grenzgängerin.

Ausbildungsstelle für Grenzgänger

Eine der klassischen Ausbildungsstellen für Grenzgänger ist die Kölner Hochschule für Medien (KHM). Auch für die Schweizerin Corine Stübi, die aus Genf nach Köln kam, um dort die mannigfaltigen technischen Möglichkeiten für ihre Videokunst zu nutzen. Die postfeministische Künstlerin, die gerne selbst in ihren Videos performt und auch schon mal mit Kamera und Barbie-Kostüm einen Schweizer Supermarkt unsicher macht, fand sich in den produktiven Arbeitszusammenhängen der KHM schnell zurecht: »Die Schule in Genf war mehr eine klassische Kunstschule, da habe ich schöngeistige Bilder gemalt. Dann habe ich aber in der Bibliothek immer mehr Bücher über zeitgenössische Medien gelesen – so etwas wollte ich auch machen.« Corine Stübis musiklastige Installationen sind konkret, sie folgen einem genauen Storyboard. In so minimal wie klar strukturierten Environments inszeniert sie sich selber, um die Stereotypen der Frauenbilder zu unterlaufen, die uns in der visuellen Warenwelt präsentiert werden. Dass ihre eigenen Bilderwelten dabei auch stylish und sexy wirken und mit der Nüchternheit der klassischen feministischen Videokunst à la Valie Export brechen, macht die anziehende Ambivalenz ihrer Arbeiten nur noch stärker.

Kreativer Spagat zwischen Kommerz und Kunst

Im Mai 2005 gewinnt Stübi mit ihrem Videoclip »Rocker« (siehe S.30 oben) zum gleichnamigen Track des Elektronik-Duos Alter Ego den dritten Preis für das beste Musikvideo beim Oberhausener Kurzfilm-Festival. Mittlerweile unterhält sie Verbindungen zu Produktionsfirmen in London und Los Angeles und kann sich vorstellen, einen kreativen Spagat zwischen kommerziellen Werbe-Spots, cleveren Video-Clips und klassischer Videokunst so erfolgreich wie zufrieden zu bestehen. »In der klassischen Dichotomie zwischen Kommerz und Kunst zu denken, ist für mich im kreativen und ästhetischen Sinne konservativer Unsinn. Die Unterschiede spürt man vielmehr in den Kontexten, durch die man sich bewegt. Bei einer kommerziellen Produktion ist klar, was geht und was nicht. Da sind die Produzenten dominant und ehrlich. Entweder mögen sie deine Idee, oder sie streichen sie raus. Im Kunstkontext hingegen gibt es eigentlich überhaupt kein Feedback. Außer dass du zu einem Festival eingeladen – oder abgelehnt wirst. Du weißt selten, warum etwas ankommt oder nicht. Mit deiner Arbeit bleibst du eigentlich fast immer allein.«

»Bildregler gefällt mir als Bezeichnung besser«

Auch Marcel Panne muss lächeln, wenn man ihn auf den angeblichen Dualismus zwischen Kunst und Kommerz anspricht. »Wenn es keine Clubkultur gäbe und du die Bilder, die wir machen, jemandem zeigen würdest und ihm dann erzählst, das sei ein total unbekannter Videokünstler aus Japan, dann würde der das garantiert glauben.« Panne ist Video Jockey, kurz VJ. Was seinen Job, der aus einer Durchkreuzung verschiedener Künste erst vor circa zehn Jahren entstand, von Stübis unterscheidet, ist das Teilhaben an einer Gemeinschaft, die mit leidenschaftlicher Aktivität auf seine Bilder reagiert. Pannes wichtigste Arbeitszeit sind die langen Nächte der Wochenenden, in denen er nicht selten acht Stunden am Stück sein Clip-Repertoire in rhythmische Bilderwelten strukturiert.
Dass VJ eigentlich ein blöder Name ist, klingt aus seinem Mund schlüssig: »VJ hat sich so eingebürgert, da kann man nichts gegen machen. Doch die technische Vielfalt unserer Arbeit und der dazugehörige Apparat ist nicht mit dem Bild eines DJs zu fassen, der fertige Musikstücke auf zwei Plattenspielern mischt. VJs werden auch die Clip-Präsentatoren auf den Musik-Kanälen genannt, da läuft unser kreativer Prozess auf einem anderen Level. Bildregler gefällt mir als Bezeichnung besser.«

»Wir sind Teil der Clubgemeinschaft«

Pannes Arbeit ist von der Interaktion mit den Beats des DJs und den Körpern der Tänzer geprägt. Das fordert nicht nur äußerste Konzentration, sondern auch Auffassungsgabe und Spontanität. »Und das ist ja gerade das Tolle!«, schwärmt der VJ, der von Kölner Flyern und Clubnächten unter dem Namen »Sehvermögen« bekannt ist. »Ich mixe meine Bilder ja nicht nur jeden Monat auf den Drum’n’Bass-Parties der Basswerk-Crew, sondern auch in Schwulenclubs und Theatern, bei Weltmusik-Konzerten oder Themenabenden in der Kneipe an der Ecke, wenn da eine Wahlparty steigt.«
Zu jedem Thema sucht sich Panne Bilder aus dem Fernsehen und dem Internet, kommentiert sie mit provokanten Textfetzen und verfremdet sie. Oder er programmiert Animationen und geht mit der Kamera vor die Tür, um eigenes Bildmaterial herzustellen und Schauspieler zu inszenieren. Mit seinem Equipment, das unter anderem aus einem Bilder-Synthesizer aus den 60er Jahren, einem PC, Samplern und einer Blue Screen-Box besteht, kann er auf fast alles reagieren. Sein ständig mutierendes Werk kann auf einer Party sekundenschnell vom Schwelgen in friedlichen Landschaften zu einem Metakommentar über den Kosovo-Krieg werden, wenn er die richtigen Knöpfe drückt. »Manchmal treten wir auch im Duo oder Trio auf, verschiedene VJs mit verschiedenen Stilen, die gemeinsam zum Takt der Musik ihre Bilder übereinander schichten und improvisieren«, erzählt Panne. »Das ist richtig geil, wie ein Trio-Konzert. Nur sind wir eben nicht die Stars, sondern Teil der Clubgemeinschaft.«

Einmal im Club ihre Kunst zu präsentieren, das reizt auch Corine Stübi. Zwar ist sie mit Leib und Seele Kontrollfreak und alles andere als eine spontane Improvisatorin – aber als sie eine Einladung von einem Festival für elektronische Musik erhielt, konnte sie nicht absagen. »Ich habe keine Ahnung, wie ich da genau arbeiten soll«, sagt sie verschmitzt. »Aber vielleicht fällt mir noch etwas ein. Ich liebe elektronische Musik. Ich hätte große Lust auf diesen Abend und diesen künstlerischen Kontext.«