»Der Holocaust passiert immer auf der anderen Straßenseite«

»Edelweißpiraten« erzählt anhand einer fiktiven Geschichte zweier Brüder vom Widerstand Kölner Jugendlicher gegen die Nazidiktatur. Regisseur Niko von Glasow-Brücher über dämonische Nazis, körperliche Recherche und große Gefühle

Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Die Edelweißpiraten haben uns ihr Vertrauen geschenkt, mit Historikern war das ein bisschen schwieriger, weil Historiker in erster Linie schriftliche Quellen akzeptieren – auf Deutsch: Gestapoakten. Aber die Edelweißpiraten haben unter Folter gesagt, dass sie Diebe sind. Die haben alles mögliche gesagt, nur nicht das Wort politisch. In den Akten steht zwar drin, dass es über 2.000 Edelweißpiraten in Köln gab und dass die Gestapo die hasste. Was nicht drinsteht, ist, dass die politisch waren. Wir haben aber auch »körperlich« recherchiert. Ich war zweimal in echten Kriegsgebieten, das hat den Stil des Films beeinflusst. Recherche ist ja nicht nur eine intellektuelle Sache.

Waren Sie als Filmemacher in Kriegsgebieten?

Ich war in Uganda und habe damals politische Flüchtlinge nach Ruanda geschmuggelt und wieder raus. Dann war ich im Norden von Thailand, da gibt es einen Drogenkrieg, dort habe ich mit einer Entwicklungshilfeinstitution gearbeitet.

Es gibt eine seltsame Parallele zwischen »Edelweißpiraten« und »Der Untergang«: Beide werden gerahmt von der Stimme eines Zeitzeugen.

Ich fand »Der Untergang« sehr interessant. Er vermittelt, dass fast ganz Deutschland gegen die Nazis und den Krieg war, aber von einem Dämon hypnotisiert wurde. Unschuldiger können wir gar nicht sein.

Sind die Nazis in »Edelweißpiraten« nicht auch solche Dämonen? Der Ortsgruppenleiter Soentgen wird eingeführt, wie er eine Frau misshandelt, bis zu seiner Ermordung wird dieses Bild nicht weiter differenziert.

Sie werden es nicht glauben, die Nazis waren ziemlich böse. Gerade dieser Soentgen, von dem sie sprechen, ist wirklich von Haus zu Haus gegangen und hat eine Kriegswitwe nach der anderen gebumst. Wir erzählen aber auch von anderen – Peter, der Bruder des Protagonisten, der in der HJ ist, wird am Ende zum Helden.

Peter ist ja noch ein kleiner Junge. Noch mal anders gefragt: Macht es der Film einem nicht leicht, sich die Nazis vom Leib zu halten, weil das ja keine normalen Menschen sind wie man selbst oder die Nachbarn?

Ich hab darüber natürlich viel nachgedacht und versucht, aus der Schauspielerei die Menschlichkeit rauszuholen, aus Details. Wenn du einem Gestapomann in der Folterzelle begegnest, ist er allerdings nicht sehr differenziert. Ich habe mir viele Filme, primär westdeutsche, über die Nazizeit angeguckt, da gibt es immer wieder die Figur des gebrochenen Nazis. Der Holocaust und die Verbrechen passieren immer auf der anderen Straßenseite. Da siehst du nicht das Leid. Ich hab mich auf die andere Seite gestellt.

Ich will eher auf die Normalität hinaus, aus der der Nationalsozialismus erwachsen ist, die berühmte »Banalität des Bösen«. In »Edelweißpiraten« gibt es nur den ständigen Ausnahmezustand.

Was ist mit der Szene, in der der Gestapochef nach der Folter zu seinem Assistenten sagt: »Mittagspause Herr Müller«? Ich verstehe den Einwand, aber es geht mir um die Edelweißpiraten. Ich habe mich sehr darum bemüht, sie nicht zu totalen Helden zu stilisieren, sondern sie als komplexe Figuren darzustellen. Ich bin auf deren Seite.

»Edelweißpiraten« sieht anders aus als andere Filme über das Dritte Reich. Er erinnert weniger an Historien- als an Dogma-Filme.

Ich wollte einen Film über den Widerstand machen, über eine Untergrundbewegung. Und daher sollte er auch wie ein Untergrundfilm aussehen. Ich wollte bei meinen Untergrundkämpfern sein. Meinem Team habe ich gesagt: Lasst uns den Film so machen, als würden wir heute irgendwo in einem Kriegsgebiet drehen. Dann würden wir uns auch die ganze Zeit mit der Kamera ducken und ausweichen. Wir wollten nicht, dass der Film schön aussieht.

Gibt es nicht einen Widerspruch zwischen diesem Realismus auf er einen Seite und der Reduziertheit: Köln kann man nur an den Bögen des Ehrenfelder Bahndamms erkennen, »Edelweißpiraten« hat trotz der Außenaufnahmen fast etwas von einem Kammerspiel.

Trümmer sehen halt immer gleich aus. Wir haben an dreißig verschiedenen Orten gedreht. »Edelweißpiraten« sollte kein Kammerspiel sein. Es ist ein Low-Budget-Film, dafür müssen sich aber andere entschuldigen.

Der Film geht auf der einen Seite offensiv mit den Budget-Beschränkung um, manchmal bietet er aber doch das große pyrotechnische Spektakel.

Es ist relativ spektakulär, wenn es Bomben regnet. Es war ein Teil der Realität, das kann ich einfach nicht auslassen. Die Edelweißpiraten konnten nicht in den Bunker, weil sie dort von der HJ verprügelt worden wären.

Der Film gibt wenig Kontext, man wird mitten reingeworfen: Es ist Krieg, die Hauptfigur ist Edelweißpirat. Menschen, die nicht wissen, wer die Edelweißpiraten waren, bekommen nicht viele Informationen.

Wir hatten die Weltpremiere von »Edelweißpiraten« beim Filmfestival von Montreal. Danach saßen zwanzig Leute auf der Straße und haben krampfhaft geheult. Denen war es scheißegal woher die Edelweißpiraten kamen oder wer die waren. Wenn ich einen pädagogischen Dokumentarfilm hätte machen wollen, dann hätte ich das getan. Ich wollte aber eigentlich etwas über Menschen erzählen und im wahrsten Sinne des Wortes einen Film über große Gefühle machen.

Ist es pädagogisch zu erzählen, wie aus proletarischen Jugendlichen Edelweißpiraten wurden?

Natürlich, dann will man den Zuschauern etwas beibringen. Ich will nur eine Geschichte über Menschen erzählen, in der es um Liebe und Verrat geht. Peter sagt zu seinem Bruder Karl, nachdem der ihn verraten hat: Alles ist gut, ich gehe meinen Weg und du deinen. Er verzeiht dem Bruder und geht freiwillig in den Tod. Das ist interessant. Es ist nicht interessant, ob die früher Wandervögel waren.


Edelweißpiraten. D/NL u.a. 02, R: Niko von Glasow-Brücher, D: Ivan Stebunov, Bela B. Felsenheimer, Anna Thalbach,
100 Min. Start: 10.11.