Oben ohne in der Schule

Die schwarz-gelbe Landesregierung will, dass muslimische Lehrerinnen ohne

Kopftuch unterrichten. Die StadtRevue diskutiert Pro und Kontra der Gesetzesvorlage

Kopftuch-Verbot in NRW

Am 25. Oktober einigten sich CDU und FDP, die die NRW-Landesregierung stellen, auf einen Gesetzentwurf zum Kopftuch im Schuldienst. Die Novelle verpflichtet Lehrerinnen und Lehrer zur »Neutralität«. Anders ausgedrückt: Verboten wird ein Verhalten, das »den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden« stören könnte.
Das Kopftuch ist im Gesetzentwurf nicht ausdrücklich genannt. Allerdings wird das Tragen politischer oder religiöser Symbole und Kleidungsstücke als »Eignungsmangel« und damit als Einstellungshindernis definiert. Und zwar dann, wenn die Symbole und Kleidungsstücke eine Haltung zum Ausdruck bringen, die sich mutmaßlich
gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet.
CDU-Fraktionschef Helmut Stahl: »Äußere Zeichen wie das Kopftuch, die weltanschauliche Fragen verkörpern und etwa den grundgesetzlichen Schutz der Gleichberechtigung bestreiten, haben in unseren Schulen nichts zu suchen.« Weiterhin erlaubt bleiben dagegen die christliche Nonnentracht und die jüdische Kippa. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sylvia Löhrmann, kritisierte den Entwurf als »Symbolpolitik« aus rein ideologischen Motiven.
In NRW leben und arbeiten nach Angaben des Schulministeriums zwanzig Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen.

Kommentar

pro kopftuchverbot
Wenn der NRW-Landtag beschließt, dass an öffentlichen Schulen Lehrerinnen, das Tragen islamischer Kopftücher untersagt wird, dann ist das eine richtige Entscheidung. Dass dieses Gesetz mit den Stimmen der CDU/ FDP-Landesregierung beschlossen wird, an deren Einwanderungspolitik es viel zu kritisieren gibt, macht die Entscheidung in der Sache nicht falsch: Es geht um die Neutralität des Staates in Fragen der Religion. Außerhalb des Unterrichts können Lehrerinnen und Lehrer die Kopfbedeckung wählen, die sie wollen. Niemand verbietet ihren Glauben – ob an einen Gott, an viele Götter oder den Weihnachtsmann. Der Schulunterricht aber muss in einem modernen, aufgeklärten Staat frei sein von Religion.
Das islamische Kopftuch ist ein starkes religiöses Symbol. Musliminnen, die ein Kopftuch tragen, bekunden damit, dass es ihnen ernst ist mit ihrem Glauben – es ist ein demonstrativer Akt. In der Islamwissenschaft und unter praktizierenden Musliminnen ist durchaus umstritten, ob das Kopftuch für Frauen verpflichtend ist. Die entsprechenden Suren des Koran lassen viel Interpretationsspielraum. Und nicht immer tragen Frauen das Kopftuch freiwillig. Es gibt viele Fälle, in denen junge muslimische Frauen von ihren Familien gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen oder sich nur unter gehörigem Aufwand dagegen wehren können. Wie ist es für diese Frauen, in der Schule von einer Lehrerin mit Kopftuch unterrichtet zu werden?
Auf jeden Fall ist das islamische Kopftuch ein Symbol gegen die Gleichstellung von Mann und Frau – denn warum müssen Männer sich nicht verhüllen? Es zu einem Symbol der Emanzipation umzudeuten, ist absurd und bloße Rhetorik, mit der religiöse Hardliner in den Kategorien der Aufklärung zu argumentieren versuchen, um ihre Interessen durchzusetzen.
In eine ähnliche Falle tappen linke Gruppen, wenn sie das Kopftuch als Teil einer »kulturellen Identität« ansehen, die es zu bewahren gilt. Einmal davon abgesehen, dass man sich damit auf ein seltsam starres und bedenkliches Konstrukt von »kultureller Essenz« beruft: Wieviel Toleranz gebührt einer im Kern repressiven Weltanschauung an staatlichen Schulen? Aus dem Respekt vor den Lebensentwürfen anderer lässt sich nicht ableiten, ihnen in jeder Ausprägung und überall kritiklos zu begegnen. Wie wollte man sonst etwa dagegen argumentieren, dass Familien ihre Töchter vom Biologie- oder Sportunterricht fernhalten wollten, weil der ihrem Glauben widerspricht?
Religion als »kulturelle Identität« oder harmlose Folklore anzusehen, mag gut gemeint sein, aber es ist fahrlässig, weil ihr Wesenskern verdeckt wird: Das Bekenntnis zu einem Glauben entzieht sich jeder vernunftgemäßen Begründung. Religiöse Grundsätze sind nicht verhandelbar. Der religiöse Mensch glaubt im Besitz einer ewigen Wahrheit zu sein, der letztlich alles andere nachgeordnet ist. Im Zweifel gelten für ihn oder sie nicht demokratisch legitimierte Gesetze, nicht einmal die Menschenrechte, sondern Gebote und Verbote einer höheren Macht. Dies vor Schülern zu demonstrieren, passt nicht in einen aufgeklärten, demokratischen Staat.
Freilich gehören alle religiösen Symbole an Schulen untersagt: die christliche Ordenstracht, die jüdische Kippa und auch das Kruzifix an der Wand. Wer sich hier auf die Religionsfreiheit beruft, vergisst, dass es eben auch ein Recht auf Freiheit von Religion gibt – zumal an staatlichen Schulen. In einem aufgeklärten Staat sollte das eigentlich selbstverständlich sein.

Bernd Wilberg, 37, Agnostiker, ist Politikredakteur
der StadtRevue.

kontra kopftuchverbot
Selten waren die männlichen Vorkämpfer für die Emanzipation der Frau – gerade im wertkonservativen Milieu – zahlreicher als heute. Und selten gingen sie mit solcher Entschlossenheit vor. So sorgt sich etwa der CDU-Fraktionschef im nordrhein-westfälischen Landtag, Helmut Stahl, um »den grundgesetzlichen Schutz der Gleichberechtigung«. Und verbietet mit diesem Argument muslimischen Frauen im Schuldienst das Tragen ihres Kopftuches. Die Gesetzesnovelle ruft die alte Frage auf den Plan: Wem nützt’s?
»Den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden« wollen die Christdemokraten, in schöner Einigkeit mit den Freidemokraten, retten, denn den sehen sie durch kopftuchtragende Lehrerinnen gefährdet. Konkrete Beispiele aus der Praxis bleiben die Gesetzesmacher schuldig. Zwanzig Lehrerinnen in NRW tragen aus religiöser Überzeugung ein Kopftuch. Von nachhaltig gestörtem Schulfrieden, Elternprotesten und islamistischer Indoktrinierung der Schülerinnen und Schüler hat man bislang nichts vernommen. Hier wird ein Popanz aufgebaut und mit viel öffentlichem Getöse ein Problem löst, das im Schulalltag gar keine echte Relevanz hat.
Stattdessen werden unter dem Vorwand, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu schützen, Frauen diskriminiert: Man verwehrt Musliminnen im Schuldienst, ihre religiöse Identität zu leben. Pikanterweise trifft man damit genau die islamischen Frauen, die bereits emanzipiert sind. Die Lehrerinnen haben Abitur gemacht, studiert, sie üben einen Beruf aus und verdienen ihr eigenes Geld. Wenn sie das weiter tun wollen, müssen sie in Zukunft auf ihr öffentliches Glaubensbekenntnis verzichten. Den Schülerinnen und Schülern nimmt man damit eine gute Möglichkeit, einer anderen Religion als der christlichen im Alltag zu begegnen und ein paar Vorurteile über Bord zu werfen. Gerade die kopftuchtragenden Lehrerinnen könnten doch als Beispiel und als Vorbild dienen: dafür, dass Islam und Emanzipation eben doch zusammengehen.
Doch während das Tragen des Kopftuchs zum Einstellungshindernis für Lehrerinnen erhoben wird, bleiben die Nonnentracht, das Christenkreuz am Revers und die jüdische Kippa ausdrücklich erlaubt. Ob diese Unterscheidung »dem weltanschaulichen Schulfrieden« zuträglich ist in einem Bundesland, in dem knapp neun Prozent der Schüler an allgemeinbildenden Schulen aus muslimischen Familien kommen?
Der Antrieb für das Kopftuchverbot ist nicht die Verteidigung verbriefter Bürgerrechte und auch nicht der Schutz von Schülern vor mentalen islamistischen Übergriffen. Hinter alledem steckt vielmehr ein christlich-abendländisches Großreinemachen, das den politisch Verantwortlichen die Möglichkeit zur Profilierung gibt – und das gute Gefühl, endlich mal ein heißes Eisen angepackt zu haben.

Yvonne Greiner, 41, Atheistin, ist Politikredakteurin
der StadtRevue.