Nicht alle sind beim Thema Naturwein so gelassen: Surk-ki Schrade im La Vincaillerie

Keine Angst vor nassen Socken!

Naturwein ist in Köln plötzlich in aller Munde — aber was verbirgt sich hinter dem ­Begriff?

Traubensaft aus der Flasche, etwas Hefe aus dem Kühlregal; dann noch etwas Zeit — schon hatten wir im Chemie-Unterricht Wein hergestellt. Der Geschmack ist zurecht in Vergessenheit geraten. In Erinnerung geblieben ist, dass es wenig braucht, um Wein zu machen.

In Wahrheit ist es komplexer: Wer mit Winzer:innen spricht, ­erfährt von ihrer Philosophie im Weinberg und dem Ausbau im Keller. Es geht um Maischestandzeit, Hefelager, Holzfässer. Das klingt nach viel Arbeit, aber auch romantisch. Weniger ­romantisch wird es, wenn man in den Katalogen der Getränketechnologie-­Unternehmen blättert. Ein elegant-fruchtiger Weißwein? Ein Rotwein mit Kirscharoma? Stets findet sich dafür die passende Hefe. Dazu gibt es Enzyme, Bakterien, Mittel zum Säuern und Entsäuern. All das sorgt dafür, dass Wein so schmeckt und aussieht, wie es viele Menschen ­erwarten. Das bedeutet meist auch: Ein Wein soll jedes Jahr gleich sein, egal, ob die Trauben ­einen regen- oder sonnenreichen Sommer hatten. Und günstig sein soll er auch.

Auf dem Etikett steht von ­diesen Zusatzstoffen und Hilfsmitteln nichts, nur für Alkohol und Schwefel gibt es eine Hinweispflicht. Denn Wein ist nach EU-Gesetz kein Lebens-, sondern Genussmittel. Daher darf es bislang weniger transparent zugehen; eine Änderung ist aber geplant.

»Für mich war es ein Schock«, erinnert sich Surk-ki Schrade, die davon 2008 auf einer Naturweinmesse in Marseille erfuhr. »Ich habe nichts gegen Zusatzstoffe und Hilfsmittel. Aber ich möchte wissen, was ich konsumiere.«

Die Alternative hielt sie damals in Marseille aber schon in der Hand: ­Naturwein. »Während der alko­holischen Gärung kommt bei Naturweinen nichts rein und nichts raus«, erklärt Schrade. »Nicht mal Hefe. Der Wein gärt, weil auf Trauben und im Keller natürliche Hefen vorkommen.« Deren Geschmacksprofil aber ist bei dieser »Spontanvergärung« kaum vorherzusagen. Es gibt ­keine Packungsbeilage.


Bei Naturweinen kommt während der Gärung nichts rein und nichts raus
Surk-ki Schrade, La Vincaillerie

Zurück in Deutschland wollte Schrade auch hier Naturwein trinken, fand aber kaum Angebote — und wurde Händlerin für Naturwein. In ihrem Laden »La Vincaillerie« in Ehrenfeld verkauft sie die Weine und veranstaltet zudem ­alljährlich die Naturweinmesse »Weinsalon Natürel«. In Köln hat mit »Frohnatur« in Ehrenfeld ­gerade die erste Naturweinstube eröffnet. In anderen Lokalen und Restaurants gibt es mittlerweile zumindest eine Auswahl im Angebot. Trotzdem stecke der Naturwein hierzulande in den Kinderschuhen, so Schrade. Aber langsam wachse das Interesse — und auch die Zahl an Produzent:innen, die Naturwein auf den Markt ­bringen.

Obwohl es in Deutschland nicht an Weingesetzen mangelt, gibt es keine Regelung, was ein »Naturwein« ist. Das mache ihn zur Vertrauenssache, so Surk-ki Schrade. »Vor zehn Jahren habe ich noch gedacht, wir brauchen kein Label«, sagt sie. »Aber heute gibt es vermehrt Weingüter, die nicht biologisch arbeiten und trotzdem einzelne Weine als ­Naturwein vermarkten.« Darum setzt sie sich mit dem Verein »Naturknall« unter anderem für eine Gesetzgebung ein. Auch die deutsche Weinkontrolle hat sie schon geschult.

Zwar betont Schrade, dass ­Naturwein einfach nur Wein ist, der anders hergestellt wird. Einigen sieht man das aber an, weil sie ­naturtrüb ins Glas kommen. Auch das Aromenspektrum für Wein wird durch Naturweine größer. Das kann auch gewöhnungs­bedürftig sein, wenn man beim ersten Schnuppern »nasse Socke« riecht. Schrades Tipp: Den Wein einfach etwas durchlüften, dann verschwinden die flüchtigen Aromen meist von selbst. Nicht alle sehen das so gelassen. Manch erfahrene Weintrinker, oft männlich, oft etwas älter, führen beim Wort Naturwein hoch, so Schrade.  »Teuer verkaufte Weinfehler, heißt es dann.« Aber es gebe auch jene, die genau wegen der erweiterten Geschmackserfahrung ­Naturwein tränken. »Wenn ich ­denen Naturwein anbiete, der klassisch schmeckt, finden sie das langweilig«, sagt Schrade.