Mit kleinen Graupen immer satt

Der erstaunliche Aufstieg polierter Gerstenkörner

 

Graupenrisotto mit Rauke und Bergkäse; Graupenrisotto mit Pulpo; Graupenrisotto mit Zitronen-Thymiansauce ... Graupenrisotto! Die Jahrzehnte lang als altmodisch verschmähten Graupen überleben in einer Nische: im unverwüstlich mon­dänen Risotto. Die Graupengrütze aus Hungerjahren ist plötzlich Trend-Food, das Graupenrisotto der Hipness-­Indikator auf Speisekarten. Wie kommt das? Die in speziellen Mühlen enthülsten, entspelzten, geschälten und polierten Gerstenkörner sind zunächst bloß sättigend, ansonsten ­neigen sie zur geschmacklichen Neutralität. Einmal abge­sehen von Steckrüben ist hierzulande kaum etwas so mit der Hungerküche verbunden wie Graupen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie Sinnbild für eine Küche der Entbehrungen. Sie passten nicht zur Wirtschaftswunderzeit, hatten keine Chance mehr gegen die Kartoffel, den Reis und die immer beliebter werdenden Nudeln, die der Italien-Hype als Pasta in deutsche Küchen brachte. Zwar wurden Graupen noch bis in die 70er Jahre in vielen deutschen Haushalten bevorratet — meist aber nicht für die Improvisation in der Alltagsküche, sondern für ganz bestimmte Gerichte. Ein, wenn nicht der Klassiker ist die Graupensuppe, in der das Rindfleisch ebenso wenig fehlen durfte wie krause Petersilie, die zeitgleich mit der Graupensuppe in der Versenkung verschwand.

Stichproben in Alltagskochbüchern der 80er Jahre ergeben: keine Graupenrezepte! Es scheint, dass sie erst mit der Aufwertung von anderem Vergessenen wie Pastinaken, Schwarzwurzel oder Mangold wieder populärer wurden. Und das wohl auch, weil die Suche nach Alternativen zu ­Kartoffeln, Reis und Nudeln immer fieberhafter wird. Wenn also neben alten Getreidesorten wie Emmer und Einkorn vor allem sogenanntes Pseudogetreide wie Amarant, Buchweizen und Quinoa modisch wird, ist auch wieder Platz für Graupen auf dem Teller — als Salat, in der Suppe, aber vor allem als ­Risotto. Ihren Aufstieg könnte man als das »Risottolenghi«-­Phänomen bezeichnen. Ein großer Hersteller hat vor kurzem seine Graupenverpackung neu gestaltet: »Ideal für Risotto« steht da jetzt an erster Stelle.

Bernd Wilberg ist Redakteur der Stadtrevue. Auch er hatte Graupen vergessen und freut sich über ihr Comeback. Lieber äße er aber noch mal die Graupensuppe seiner Oma als die Risotto-Kleckse im Restaurant.