Anders arbeiten, anders denken, anders leben #2

Was vor ein paar Jahren noch wie ein Relikt aus den 70er Jahren erschien, ist wieder aktuell: arbeiten im Kollektiv — unter Bedin­gun­gen, die nicht von Chefs, Karriere und in Rendite gemes­senem Erfolg diktiert sind. Ohne Hierarchie, mit egalitären Löhnen, inklusiv und verbunden mit politi­schen Pro­jekten — das sind die Prinzipien dieser Bewegung. Auch in Köln werden diese Ideen wieder von mehr Menschen disku­tiert. Felix Klopotek unter­hielt sich mit Ianna und Helena vom Kölner Gastro-Kollektiv Locura.

Die Ebene ist ein Streetfood-Festival

Ein Gespräch mit Ianna und Helena vom »Locura Festival« über die berühmt-berüchtigten Mühen der Ebene

Was 2014 mit vier Studierenden begann, ist heute eine 14-köpfige Gruppe: Das »Locura Kollektiv« backt und füllt argentinische Empanadas, bereitet damit das Catering für Feiern oder ist mit seinem Food­truck auf Streetfood-Festivals unterwegs. Jeden Donnerstag steht er auf dem Rudolfplatz. Seit 2018 ist Locura, mit Sitz in Weiden, eine Genossen­schaft und damit ein Kollektiv­betrieb.

Ianna und Helena kommen in der Stadtrevue auf ein Gespräch vorbei. Nach den theoretischen und gesellschafts­politischen Diskussionen mit Heinz vom SSM interessiert mich die konkrete Arbeit. Wie organisiert sich ein Caterer ohne Hierarchien?

Ianna hat zunächst in Bonn ein betriebs­wirt­schaft­liches Studium absolviert, lebt seit zwei Jahren in Köln, ist seit 2018 bei Locura und auch aktiv in der Kölner und bundes­weiten Vernetzungs­arbeit der Kollek­tive. Helena hat in BWL einen Bachelor und in ­Anthropo­logie einen Master­abschluss. Sie lebt seit 2018 in Köln, ist seit zwei Jahren bei Locura dabei und froh, ihren Job in der ­Logis­tik bei einem »normalen Unter­nehmen« gekündigt zu haben.

Ianna, Helena, was zeichnet Locura aus? Was fällt euch spontan ein?

Ianna: Wir kommen aus ganz unter­schiedlichen Kontexten. Manche haben studiert, andere eine Aus­bildung gemacht und es gibt Menschen bei uns, die einfach viel Erfahrungen gesammelt haben. Wir haben in unserem Team Menschen aus Argentinien, Kolumbien, Ghana, Spanien, Frank­reich und Deutsch­land. Unsere Haupt­sprachen sind Deutsch, Spanisch und Englisch, wobei manche auch Französisch und Italienisch mi­tein­ander sprechen. Es gibt Menschen, die sich nicht in einer Sprache ­unter­halten können, weil eine Person nur Spanisch, die andere nur Deutsch oder Englisch spricht. Aber verstehen tun sie sich trotz­dem und es werden immer wieder neue Wege der Kommu­ni­kation gefunden. Trotz der vielen Sprachen kriegen wir es immer gut hin, ­gemein­sam En­tscheidungen zu treffen.

Helena: Mir gefällt die gegenseitige Unter­stützung, dass wir unter­einander die Aufgaben verteilen, wie es für uns am besten passt. Man ist immer Teil des Ent­scheidungs­prozesses, das unter­scheidet sich grund­sätzlich von meinem früheren Job.

Was muss ich mir unter einer Genossen­schaft vorstellen?

Ianna: Wer bei uns neu anfängt, hat eine drei­monatige Onboarding-Phase. Die Person hat einen Buddy aus dem Kollektiv an ihrer Seite, eine Ansprech­person. Einmal im Monat findet ein Onboarding-Gespräch statt, in dem wir uns mit der neuen Person aus­tauschen. Nach drei Monaten entscheidet das Kollektiv, ob sie auf­ge­nommen wird. Dann kauft sie einen Genossen­schaft­santeil in Höhe von 100 Euro.

Das hört sich wenig an.

Ianna: Ja, aber viele Leute, die bei uns anfangen, haben keine Rück­lagen. Die Genossen­schafts­anteile sind im Kollektiv noch ungleich verteilt. Ziel ist aber, dass mittel­fristig alle gleich viele Anteile halten. Des­halb bekommen alle Locuristas mit weniger Anteilen als der Durchschnitt mehr Genossen­schafts­anteile gut­geschrieben. Gleich­zeitig zeichnen Mit­glieder, die bereits den Durch­schnitt erreicht haben keinen neuen mehr. So gleicht sich das mit der Zeit langsam an.

Wie zahlt ihr euch aus?

Helena: Wir haben einen Einheits­brutto­lohn und wir diskutieren jedes Jahr, ob wir ihn erhöhen können. Früher hatten wir einen Bedarfs­lohn. Da haben wir fest­gelegt, was wir minimal brauchen und maximal wünschen.

Ianna: Aber das Modell war auf Dauer recht konflikt­reich, das musste sehr intensiv aus­ge­handelt werden. Es setzt zum Beispiel ein hohes Maß an Ver­ant­wortung dem Kollektiv gegen­über voraus. Da ist der Einheitslohn eine klarere Lösung. Aber auch in diesem haben wir viele Fragen und unter­schied­liche Ansichten. Haben Leute mehr Ver­ant­wortung für den Betrieb und deshalb auch einen Anspruch auf höheren Lohn? Diese Frage taucht immer wieder auf.

Oder auch: »Ich arbeite mehr als du — trotzdem verdienen wir den gleichen Lohn.« Das löst ­Konflikte aus. Habt ihr eine Über­sicht über eure Arbeits­stunden?

Ianna: Jede*r schreibt für sich seine/ihre Stunden auf, das ist also bislang individuell gelöst. Das klappt eigent­lich ganz gut. Trotz­dem kann man sich fragen: Habe ich jetzt 45 Minuten gearbeitet oder eine Stunde, weil die Pause ja auch zur Arbeit gehört? Und wenn man mich um 20 Uhr anruft und irgendeine Frage zu ­Locura hat — ist das dann auch Arbeit? Das ­haben wir noch nicht einheit­lich geklärt.

Helena: Wir machen einen Plan, wie viele Stunden wir im Monat brauchen werden, um unser Pensum zu erreichen. Am Ende ist es immer auf­ge­gangen. Manch­mal liegen wir zehn Stunden darunter, manch­mal zehn darüber, das sind kleine Schwankungen. Und das zeigt ja, dass niemand Stunden schindet, ­keiner zu viele auf­schreibt. Da sind wir alle sehr gewissen­haft.

Seid ihr in eurer Arbeit auf Rollen festgelegt?

Ianna: Ja, sind wir. Wir sind aber immer bereit, für andere ein­zu­springen, wenn die mal krank sind. Oder wenn jemand kurz­fristig aufhört.

Helena: Wir können auch wechseln. Ich war längere Zeit für den Einkauf von Ver­packungen, Geschirr und Besteck zuständig. Dann bin ich in die Koordi­na­tion des Caterings gewechselt und habe eine Kollegin für meine bisherige Rolle ein bisschen ein­gelernt. Es macht auch Spaß, die Rollen zu wechseln. Die Rollen an sich sind klar definiert, aber die Personen können wechseln.

Wie häufig trefft ihr euch als Kollektiv, um die Fragen, die ihr genannt habt, zu diskutieren?

Helena: Alle zwei Wochen für zwei Stunden. Manchmal türmt sich so viel auf, dass wir uns wöchent­lich treffen müssen. Wir haben auch kleinere Gruppen, die wir »Tandem« nennen. Zum Beispiel »Tandem Produktion«, die für verschiedene Bereiche in der Produktion ­verant­wort­lich sind, also Teig, Füllungen, Food­truck-Vor­bereitung usw. Die besprechen die Themen, die nur sie betreffen. Darin ­können sie autonom Ent­scheidungen fällen und gemeinsam als ­Tandem einzelnen Rollen­träger*innen Entscheidungs­kompetenzen ­zuweisen.

Ianna: Dann gibt es das »Tandem Beziehung und Netz­werke«: Da sind alle Rollen inbegriffen, die die Kontakte nach draußen halten: ­Catering-Akquise, Vertrieb, Social Media, ­Design… Wir haben insgesamt vier Tandems: außerdem noch »Transparenz«, das ist unsere Buch­haltung und Bürokratie und »Gruppe«, da geht es um’s Onboarding, Team-Planung, Weiter­bildung.

Helena: Und es gibt es noch Team-Tage, auf denen wir zum Beispiel unsere Statuten und unser Selbst­verständnis neu diskutieren. Das braucht mehr Zeit.

Wie geht ihr mit Gewinnen um? Das kann ja schnell zum Problem werden, wenn man ­plötzlich mehr Geld hat.

Ianna: Nach den Corona-Jahren hatten wir letztes Jahr wieder einen Gewinn und haben beschlossen, unseren Stunden­lohn von 12 auf 14 Euro zu erhören.

Ihr arbeitet alle sozial­versichert?

Ianna: Genau. Wir haben ein paar Kollektivistas, die als Mini-Jobber arbeiten, weil sie entweder noch andere Projekte haben oder nebenbei studieren. Aber die meisten sind als Genossen­schaft­ler*innen beides: Eigen­tümer*innen und Ange­stellte. Aber zum Gewinn: Unser Ziel ist schon, dass wir regel­mäßig unseren Stunden­lohn erhöhen, um gut leben zu können. Wir mussten aber auch viel in unsere Küche investieren oder in unseren Food­truck. Wir sind immer noch im Aufbau. Wir haben in unseren Statuten fest­gelegt, dass wir perspektivisch Teile unseres Gewinns an ökologisch-soziale Projekte spenden oder in die bundes­weite Kollektiv-Vernetzung.

Habt ihr eine geregelte Wochen­arbeitszeit? Wie viel arbeitet ihr?

Helena: Unsere Arbeits­zeit kann je nach Monat etwas variieren. Jede Person sagt der Rolle Team­planung wie viel Schichten sie pro Monat für die Arbeit im Foodtruck, in der Teig­produktion und in der Küche über­nehmen kann und möchte. Dabei berück­sichtigt jede Person für sich selbst, wie viel Stunden sie bereits für Rollen­arbeit braucht. Die Rolle Team­planung erstellt damit dann den Schicht­plan für die Produktion und für den Verkauf im Food­truck, mit dem wir an Wochen­enden auf Street­food-Festivals und ab Mitte November auf Weihnachts­märkten unter­wegs sind.

Weihnachtsmärkte? Hört sich sehr stressig an.

Helena: Ist es auch. Im Dezember ist super viel los, im Sommer auch, da haben wir die meisten Catering-Anfragen. Wir müssen darauf flexibel reagieren, das ist der Nach­teil, wenn man in der Gastro­nomie arbeitet. Im Januar und Februar passiert fast nichts. Über das Jahr gleicht sich das aus.
Ianna: Wir haben zum Glück Spiel­raum. Wenn Leute von uns mehr arbeiten wollen oder müssen, weil sie das Geld brauchen, können wir noch Street­food-Festivals dazu­buchen. Aber man muss es offen sagen: Es ist ein harter Job. Am Wochen­ende haben wir 10- bis 12-Stunden Schichten. Wenn wir auf einem Festival in ­Osna­brück sind, dann wechseln die Schichten nicht, dann ballert da ein Team durch.